Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rache des Samurai

Die Rache des Samurai

Titel: Die Rache des Samurai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
Vom Netzwerk:
bestärkte Sano in dieser Befürchtung:
    »O weh, o weh!« jammerte er. »Dann war es also ein Geist, den ich letzte Nacht gesehen habe? Ich bin verflucht! Ich bin dem Tod geweiht!« Sein Gesicht nahm wieder aschgraue Farbe an, und er schwankte.
    »Der Mörder ist kein Geist, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut«, sagte Sano mit Nachdruck in der Stimme und warf dem Apotheker und seiner Frau einen warnenden Blick zu. »Kommt, Udoguchi- san , legt den Kopf auf die Knie.« Er half dem Wachposten, die empfohlene Körperhaltung einzunehmen, und wartete, bis der Atem des Mannes wieder ruhiger ging und sein Zittern nachließ. »So. Und nun beschreibt mir die Person, die Ihr gesehen habt, und sagt mir, wann das gewesen ist.«
    Der Wachposten setzte sich wieder aufrecht hin und schüttelte so heftig den Kopf, daß seine Hängebacken schwabbelten. »Er war die letzte Person, die durch mein Tor gekommen ist, bevor ich’s geschlossen habe. Ich habe ihn angesprochen, doch er gab keine Antwort. Und es war so dunkel und nebelig, daß ich ihn nicht richtig sehen konnte.«
    »War er dick oder dünn?« fragte Sano geduldig. »Groß oder klein?«
    »Ich weiß es nicht. Ich kann mich nicht erinnern. Er war ein Samurai – jedenfalls glaube ich, daß er mit Schwertern bewaffnet war. Er trug einen weiten Umhang. Und einen großen Strohhut, so daß ich sein Gesicht nicht sehen konnte.«
    Sanos Hoffnungen schwanden. Selbst wenn der Mann, den Udoguchi gesehen hatte, tatsächlich der Mörder war, konnte ihn nach dieser Beschreibung niemand identifizieren. »Hat er irgend etwas bei sich getragen?« fragte er in der Hoffnung, wenigstens zu erfahren, ob der Betreffende Kaibaras abgetrennten Kopf bei sich gehabt haben könnte, woraus sich vielleicht eine ungefähre Tatzeit ableiten ließe.
    »Ich weiß es nicht mehr.«
    »Ist Euch sonst noch etwas an ihm aufgefallen? Denkt scharf nach!«
    Doch der Wachposten konnte sich nur an die ungefähre Beschreibung des Mannes erinnern, die er Sano bereits gegeben hatte. Sano überdachte, was die Befragung der drei Zeugen ergeben hatte, und Enttäuschung breitete sich in ihm aus. Daß der Mörder ein Samurai war, konnte vielleicht aus der Art und Weise des Mordes gefolgert werden, doch barg es Gefahren, sich auf bloße Annahmen zu stützen. Es war entmutigend, nur eine so dürftige Beschreibung des Verdächtigen zu haben, und aus den Aussagen der Zeugen ging weder der genaue Zeitpunkt des Mordes hervor, noch engten sie die Zahl jener Personen ein, die als Täter in Frage kamen.
    Der alte Apotheker hatte den Leichnam vor Sonnenaufgang entdeckt, bevor die Tore geöffnet worden waren. Das bedeutete, daß Kaibara in der vergangenen Nacht gestorben war, als er und der Mörder die Straße betraten, bevor man die Tore geschlossen hatte. Udoguchi hatte den Kopf jedoch auf dem Nachhauseweg gefunden, nachdem die Tore wieder geöffnet waren. Der Mörder konnte den bundori entweder in der letzten Nacht auf den Feuerwachturm gelegt haben, oder in aller Frühe an diesem Morgen. Sano hatte gehofft, folgenden Tathergang rekonstruieren zu können: Der Mörder hatte sein Opfer enthauptet; dann hatte er den Kopf mit nach Hause genommen, die Trophäe präpariert und sie in der verhältnismäßig kurzen Zeitspanne zwischen dem Einbruch der Dunkelheit und der Schließung der Tore auf den Turm gelegt – ein zeitlicher Ablauf, bei dem man allerdings voraussetzen mußte, daß der Täter im Apothekerviertel wohnte. Da dem Mörder jedoch die ganze Nacht zur Verfügung gestanden hatte, konnte er von überallher kommen.
    »Danke für eure Gastfreundschaft und Hilfe«, sagte Sano zu dem alten Ehepaar. »Ich muß euch allerdings den Befehl erteilen, eure Geistergeschichte nicht weiterzuerzählen; ihr würdet den Leuten damit nur Angst einflößen.« Zu dem Wachposten sagte Sano: »Ich möchte den Turm sehen, auf dem Ihr den Kopf gefunden habt.«
    Als Sano sah, daß Udoguchi vor Entsetzen der Unterkiefer herunterklappte, fügte er rasch hinzu: »Ihr braucht nicht selbst dorthin zu gehen. Es genügt, wenn Ihr mir den Turm zeigt.«
    »Ja, Herr«, erwiderte Udoguchi mit offensichtlicher Erleichterung. Die beiden Männer traten auf die Straße; dort blieb Udoguchi stehen, hob die Hand und wies Sano die Richtung.
    Sano sah den Turm, der sich – einige Straßen weiter im Osten – über die Dächer erhob. Als er sich auf den Weg dorthin machte, folgte ihm eine riesige Prozession neugieriger Zuschauer. Offenbar hatte inzwischen jedermann

Weitere Kostenlose Bücher