Die Rache des schönen Geschlechts
hat die Bilder dieser Unfälle offensichtlich aus einem ganzen Vorrat an Material zusammengeschnitten. Stimmt das?«
»Ja, Commissario.«
»Jetzt brauchte ich das gesamte Material und nicht nur das, was gestern Abend gesendet wurde. Ich weiß, dass das aufwendig ist und.«
»Ach was!«, sagte die Sekretärin lächelnd. »Diese Berichte über die Unfälle hat Dottor Zito eigens gesammelt, um dann die schockierendsten Bilder aussuchen zu können. Die Kassette ist im Archiv. Sie muss nur überspielt werden.«
»Dauert das lange?«
»Zehn Minuten.«
Als er ins Kommissariat kam, erwarteten Fazio und Augello ihn schon in seinem Büro. »Bevor wir anfangen zu reden, muss ich telefonieren.«
Er wählte eine Nummer.
»Dottor Pasquano, hier ist Montalbano. Bitte gehen Sie nicht gleich in die Luft, Dottore. Nur eine Frage, dann können Sie Ihre nächste Leiche zerlegen. Hatten die anderen Opfer saubere Füße?«
Während Fazio und Augello ihn irritiert ansahen, hörte Montalbano sich die gejaulte Antwort des Doktors an, dankte und legte wieder auf.
»Ich erklär's euch nachher«, sagte er. »Fazio, erzähl.«
»Ich kann nicht viel berichten. Es gibt keine Nummer 38 in der Via Madonna del Rosario. Die Straße endet mit der 36, einer Schuhmacherwerkstatt. Sie gehört.«
Er unterbrach sich und fischte einen Zettel aus der Jackentasche.
». Vincenzo Formica, Sohn des verstorbenen Giovanni und von Elisabetta.«
»Halt's Maul!«
Als Fazio mitten in seinem Personalienrausch, der ihn bisweilen heimsuchte, so abrupt gestoppt wurde, lief er rot an und steckte den Zettel wieder ein.
»Niemand kennt Attilio Siracusa. Er gehört auch nicht zu den Kunden. Ich bin in das Haus gegenüber gegangen, mit der ungeraden Hausnummer, der 31. Ein Friseur. Dort hat nie jemand von diesem Siracusa gehört.«
»Und du, Mimi?«
»Am Eilpostschalter sitzt nur eine Angestellte. Ihr müsst euch eine Hexe vorstellen. Als ich sie sah, hätte ich am liebsten auf dem Absatz kehrtgemacht. Dabei war sie ein freundliches Geschöpf, sehr liebenswürdig.«
»Hast du dich in sie verknallt, Mimi?«
»Nein, aber man wundert sich doch immer wieder, wie sehr der Schein trügt. Du hattest Recht, Salvo, es kommt nicht oft vor, dass ein Eilbrief von Vigata nach Vigata geschickt wird. Ich hab ihr den Umschlag gezeigt. Sie konnte sich genau erinnern. Den Brief hat ein Junge aufgegeben, und er hatte einen fertig ausgefüllten Quittungsbeleg und abgezähltes Geld dabei.«
»Das können wir dann wohl vergessen«, meinte Fazio.
»Hat sie dir denn erklärt, warum der Brief so lange gebraucht hat?«
»Ach ja«, sagte Mimi. »Die Cobas-Gewerkschaft hat gestreikt.«
»Und wer den Brief geschrieben hat, wusste sie nicht«, sagte Montalbano. »Eines ist also sicher. Der falsche Signor Siracusa wollte das Verbrechen, denn um ein solches handelt es sich, verhindern.«
»Und was ist die Geschichte mit den Füßen?«, fragte Mimi.
Montalbano erzählte es ihnen. Und fügte hinzu: »Pasquano sagte, die Füße der anderen seien normal gewesen, die einen dreckig, die anderen sauber. Nur Puka ging zur Fußpflege.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Bauarbeiter, Albaner oder nicht, zur Fußpflege.«
». außer«, unterbrach Montalbano ihn, »er war gar kein echter Bauarbeiter. Was hat unser hoch geschätzter Dottor Augello hier eben in einer Anwandlung von überwältigender Originalität gesagt? Dass der Schein trügt. Oder besser: Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Oder noch besser: Die Kutte macht noch keinen Mönch.«
Kapitel 3
Er verputzte einen großen Teller gebratene Meerbarben und erlangte dabei eine Konzentration, bei der ein Yogi anfängt zu schweben, nur dass seine Konzentration in die entgegengesetzte Richtung ging, sie schlug tiefe Wurzeln in der Erde, nämlich in dem durchdringenden Duft, dem zarten Geschmack dieser Fische, und ließ keine anderen Gedanken und Gefühle zu. Montalbano konnte sogar die Geräuschkulisse draußen, Autos, Geschrei, voll aufgedrehte Radios und Fernseher, verschwinden lassen und sich eine Art schalldichte Blase schaffen. Am Ende erhob er sich nicht nur satt, nicht nur zufrieden, sondern wunschlos glücklich. Kaum hatte er die Trattoria San Calogero verlassen, wäre er um ein Haar von einem daherrasenden Auto überfahren worden, dem er nur durch einen Sprung auf den Bürgersteig mit knapper Not auswich. Aber die Harmonie zwischen ihm und dem Klang der himmlischen Sphären war auf einen Schlag zerrissen. Um den Unmut
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