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Die Rache des schönen Geschlechts

Titel: Die Rache des schönen Geschlechts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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fest, dass er taub geworden war. Wie konnte man denn das Gehör verlieren, wenn man sich ein Bein anschlug? Dann wurde ihm klar, dass die Aquariumsstille, die ihn mit einem Mal umgab, auf einen einfachen Umstand zurückzuführen war: Es hatte aufgehört zu hageln. Er erreichte die Tür, suchte den Schalter, fand ihn, knipste das Licht an. Es bestand keine Gefahr, dass jemand das Licht in den Fenstern bemerkt hätte, bei dem schauerlichen Wetter wagte sich kein Mensch in diese grässliche Steinwüste, in der die Baustelle lag. Die Baracke war sauber und aufgeräumt. Es gab einen langen Tisch, zwei Bänke, vier Stühle. Hinten drei Kammern: ein Klo und zwei Duschen. An der fensterlosen Wand war eine lange Garderobe angebracht. Fünf Haken waren von Overalls und weißen Malerklamotten belegt, über jedem dieser Haken hing ein gelber Helm an einem Nagel, die Arbeitsschuhe standen unter der jeweiligen Kluft am Boden. Zwar waren fünf Plätze belegt, aber zwischen dem dritten und dem vierten war ein leerer Haken, ohne Helm, ohne Schuhe, ohne Kleidung. Montalbano war sicher, dass dies Pukas Platz gewesen war, die Carabinieri hatten anscheinend alle persönlichen Gegenstände des Albaners mitgenommen. jetzt erklang eine Art leise Musik vom Dach, es regnete Bindfäden und Engelshaar. Er sah in die beiden Duschen, fand nichts. Kaum stand er in der sehr sauberen und ordentlichen Toilette, musste er pinkeln. Automatisch machte er die Tür zu. Als er fertig war und sich umdrehte, sah er, dass das Licht der Glühbirne, die von der Decke herunterhing, auf der metallenen Tür einen merkwürdigen Reflex in Regenbogenfarben hervorrief. Montalbano betrachtete ihn einen Augenblick, und da fielen ihm an einer Stelle etwas über Kopfhöhe eines durchschnittlich großen Mannes ein paar bräunliche Flecken auf, die von einer sichelförmigen Schramme ausgingen, einer Schramme, die von etwas Metallenem stammen musste, das mit Wucht gegen die Tür geschlagen war. Montalbano ging mit dem Gesicht so nah hin, dass er fast mit der Nase an die Tür stieß, und hatte keinen Zweifel mehr, das waren Flecken von geronnenem Blut, die auf der Oberfläche des lackierten Stahls intakt geblieben waren, auf einer Holztür wären sie vielleicht aufgesogen worden. Die Flecken waren ziemlich groß und reichten für sämtliche Analysen. Doch wie die Flecken abnehmen? Er musste unbedingt noch mal ins Auto. Er schob einen Stuhl an das Fenster, durch das er eingestiegen war, kletterte darauf und sah hinaus. Anscheinend hatte es aufgehört zu regnen. Er stemmte sich hoch, und als sein Oberkörper halb draußen war, fing es wieder an zu hageln, noch schlimmer als vorher. Das schlechte Wetter, oder wer auch immer, hatte ihm einen Hinterhalt gelegt. Wieder völlig durchnässt, setzte er sich ins Auto und nahm ein Taschenmesser und eine alte Plastikhülle seines Autoversicherungsscheins aus dem Handschuhfach. Er steckte beides ein und wartete rauchend, bis der Hagel vorbei war. Dann schaffte er es wie durch ein Wunder, auf der Motorhaube zu balancieren, aber kaum hatte er den Oberkörper vorgestreckt, um sich am Fenster festzuhalten, rutschten ihm beide Füße weg, als hätten sie sich abgesprochen, und er knallte mit dem Kinn geradewegs auf das Fensterbrett. Als er kopfüber zwischen Motorhaube und Barackenwand in den Matsch fiel, tröstete er sich mit dem Gedanken, dass es ihm jedenfalls besser erging als dem armen Puka.
    Als er nicht in einem Auto, sondern in einem merkwürdigen riesigen Schlammklumpen mit Eigenantrieb am Kommissariat vorfuhr, war Montalbano fix und fertig. Die Rückfahrt aus dem Tal, den Feldweg bergauf, der sich in Morast verwandelt hatte und auf dem er mal ins Schleudern geriet, mal im Sumpf stecken blieb, war sehr mühsam gewesen, außerdem taten ihm die Schulter und das Bein scheußlich weh. Als Catarella in dem Wrack, das zur Tür hereinkam, den Commissario erkannte, fing er an zu kreischen wie ein Truthahn, dem der Hals umgedreht wird. »Mafre santa, Dottori! Heilige Muttergottes, was ist denn mit Ihnen los? Sie sind ja ganz matschig! Sogar in Ihren Haaren ist Matsch!«
    »Reg dich ab, ist ja nichts passiert, ich geh mich gleich waschen.«
    Keine Chance. Catarella hakte den Commissario unter, der sich vergebens zu entwinden versuchte. In vollkommener Harmonie gingen sie den Flur entlang, denn da beide am linken Bein verletzt waren, neigten sie sich bei jedem Schritt gleichzeitig nach links. Fazio sah sie von hinten und konnte sich das Lachen

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