Die Rache des schönen Geschlechts
schoss vom Treppenabsatz aus auf ihn, als er schon die Haustür erreicht hatte und fliehen wollte. Sie lief hinter ihm her, aber sie konnte nichts sehen, es war zu dunkel, sie hörte nur das Geräusch eines Mopeds. Sie kehrte ins Schlafzimmer zurück, begriff, dass sie für den Onkel nichts mehr tun konnte, ließ den Revolver fallen und ging hinunter ins Wohnzimmer, um die Polizei zu rufen. jetzt zitterte Grazia wieder, sie schwankte wie ein Baum, in den der Wind fährt. Galluzzo strich ihr erneut übers Haar.
»Es passt alles«, sagte er. »Auch der Blutfleck.«
»Welcher Blutfleck?«
»Der vor dem Haus, ich habe ihn mit der Taschenlampe gesehen. jetzt, wo es hell wird, können Sie ihn auch sehen.
Er stammt sicher von dem Mörder. Das Mädchen muss ihm in den Rücken geschossen haben.«
Da stieß Grazia, den Kopf weit nach hinten geneigt, einen Schrei wie ein Tier aus und verlor die Besinnung.
Kapitel 2
Zwei Tage zuvor hatte Questore Bonetti-Alderighi, der Polizeipräsident, ihm wieder mal eine Standpauke gehalten. »Lassen Sie sich das gesagt sein, Montalbano -vergessen Sie nicht, dass Ihre Aufgabe in einer temporären Sicherungsfunktion besteht und in nichts sonst.«
»Ich verstehe nicht, Signor Questore.«
»Mein Gott! Das habe ich Ihnen schon mindestens dreimal gesagt! Wenn Sie an einen Tatort gerufen werden, haben Sie sich darauf zu beschränken, den Tatort zu sichern, während Sie auf die Ermittlungsführer warten. Dass sich keiner rührt.«
»Muss ich das sagen?«
»Was?«
»Polizei! Keiner rührt sich!«
Bonetti-Alderighi musterte ihn argwöhnisch. Der Commissario stand vor dem Schreibtisch, den Oberkörper leicht nach vorn geneigt, mit einem Gesicht, das nur demütig um Aufklärung bat. »Ach machen Sie doch, was Sie wollen!« jetzt waren die >Ermittlungsführer< im Anmarsch, und er hatte nicht das geringste Verlangen, ihnen zu begegnen. Er ging in Grazias Zimmer. Das Mädchen hatte sich etwas erholt und lag angekleidet auf dem Bett.
Galluzzo saß auf einem Stuhl.
»Ich gehe jetzt«, sagte Montalbano.
Grazia sprang auf.
»Wie bitte? Sind Sie schon fertig?«
»Nein, ich habe noch gar nicht angefangen. Galluzzo, du kommst mit.«
Im Wohnzimmer rief der Commissario nach Fazio. Gallo schlief tief in seinem Sessel, und im Vorbeigehen versetzte ihm der Commissario einen Tritt an die Wade.
»Was ist los? Was ist passiert?«
»Nichts, Gallo. Lass schon mal den Wagen an, wir fahren.«
»Brauchen Sie mich?«, fragte Fazio oben an der Treppe.
»Ich wollte dir nur sagen, dass ich gehe. Du wartest auf die anderen.«
Auf dem Weg zur Tür hakte er sich bei Galluzzo ein.
»Wieso interessierst du dich eigentlich so für die Nichte?«
Galluzzo wurde rot.
»Sie tut mir Leid. Sie ist so traurig und allein.«
Draußen wurde es Tag.
»Zeig mir mal den Blutfleck.«
Galluzzo sah auf den Boden und schien irritiert zu sein.
Dann grinste er.
»Er ist genau unter Ihrem Auto.«
Sie machten Gallo ein Zeichen, er solle zurücksetzen, und dann kam der Fleck zum Vorschein, die Reifen waren zum Glück nicht darüber gefahren. Montalbano ging in die Hocke, um ihn besser sehen zu können, und berührte ihn mit dem Zeigefinger. Kein Zweifel, das war Blut.
»Leg irgendwas drauf, sonst ist er nachher nur noch Staub, wenn diese Idioten aus Montelusa mit ihren Autos drüberfahren. Du bleibst mit. mit Fazio hier. Wiedersehen.«
»Danke«, sagte Galluzzo.
Er ließ Gallo vor dem Kommissariat aussteigen, setzte sich ans Steuer und fuhr weiter nach Marinella. Beim Rasieren fiel ihm die Sache mit dem Bett des Toten wieder ein. Wenn beide Seiten benutzt waren, dann musste vor dem Mord oder währenddessen jemand neben Gerlando Piccolo gelegen haben. Es gab also, abgesehen von Grazia, die das Zimmer betreten hatte, als alles vorbei war, einen Augenzeugen des Mordes. Er hatte vergessen, die Nichte zu fragen, was sie über die nächtlichen Besuche bei Onkel Gerlando wusste. Ein schwerer Fehler, der ihm niemals unterlaufen wäre, wenn man ihm nicht deutlich zu verstehen gegeben hätte, dass er den Fall den wahren >Ermittlungsführern< zu überlassen habe. Sollten sie doch selber sehen, wie sie weiterkamen.
Als es Zeit war, essen zu gehen, erschien Fazio mit finsterem Gesicht. »Und wo ist Galluzzo?«
»Nachdem das Haus versiegelt war und die Nichte nicht wusste, wo sie hinsollte, hat Galluzzo seine Frau angerufen, sie war einverstanden, und Galluzzo hat das Mädchen zu sich nach Hause mitgenommen. Dann hat er den Arzt
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