Die Rache des stolzen Griechen
so ausgiebig wie noch nie zuvor begutachtet hatte, betrachtete sie ihr Gesicht mit den viel zu ernst blickenden braunen Augen und den fein geschwungenen dunklen Brauen. Einem Impuls folgend holte sie den Lippenstift und trug ihn sorgfältig auf. Andere Mädchen schminkten sich schon die Lippen, noch bevor sie vierzehn waren. Sie selbst hatte in diesem Alter andere Dinge im Kopf gehabt. Und nach ihrem vierzehnten Geburtstag – sie verbot sich jeden Gedanken an jenen furchtbaren Winterabend, als sie ahnungslos durch die dunkle Gasse gelaufen war und nur daran gedacht hatte, wie ihre Mutter sich über das Buch freuen würde, das sie in der fahrbaren Bibliothek entdeckt hatte.
Clare sah, dass sie den Lippenstift zu dick aufgetragen hatte, und tupfte sich die Lippen mit einem Papiertuch ab. Dann ging sie zurück ins Bad, um sich wieder anzuziehen.
Als sie ihr Kleid in die Hand nahm, hatte sie plötzlich das seltsame Gefühl, eine andere Person geworden zu sein. Und diese andere Person war es auch, die sich jetzt das Kleid über den Kopf zog, ohne den Badeanzug vorher abzustreifen. Rasch lief sie aus dem Zimmer, bevor die alte Clare Harper sie dazu bringen konnte, sich wieder umzuziehen.
Draußen schaute sie sich nach allen Seiten um, um festzustellen, ob Lazar sich in der Nähe aufhielt. Zum Glück war er nirgends zu sehen. Sie hätte jetzt nicht die Nerven für weitere fruchtlose Auseinandersetzungen gehabt.
Es war heiß am Strand und weit und breit keine Menschenseele zu sehen. Froh, niemandem zu begegnen, zog Clare ihre Sandalen aus und lief ein Stück dicht am Wasser entlang. In dieser herrlichen Umgebung kehrte Ruhe in ihr Inneres ein, und sie empfand Dankbarkeit dafür.
Das Meer umspülte ihre Füße und kühlte sie angenehm. Sie raffte den Saum ihre Kleides hoch und watete tiefer ins Wasser hinein. Schade, dass sie nicht schwimmen konnte. Bisher hatte sie sich nie Gedanken darum gemacht, doch jetzt wünschte sie, ganz in diese erfrischenden Fluten eintauchen zu können.
Bis zur Brust kannst du ruhig hineingehen, drängte eine innere Stimme sie. Und schon lief die neue Clare Harper zurück zum Strand und zog rasch ihr Kleid aus, bevor sie es sich wieder anders überlegen konnte. Wenig später stand sie bis zur Taille im Wasser und spritzte übermütig um sich.
Oh, was für ein herrliches Gefühl!
Sie spürte, wie ihr die Sonne auf die nackten Schultern brannte. Sie raffte ihr Haar hoch und bedauerte, dass sie keine Nadeln dabeihatte, um es hochzustecken. Bis zum Hals tauchte sie ins Wasser ein und wünschte sich dabei abermals, sie könnte schwimmen.
Plötzlich verflüchtigte ihre Euphorie sich wieder. Mit aller Macht kehrte die Erinnerung zurück, aus welchem Grund sie hier war. Die alte Befangenheit überkam sie, sie wollte nur noch an den Strand zurück und ihr Kleid überziehen.
Das Wasser reichte ihr noch bis zur Hüfte, als sie den Kopf hob, um zu sehen, an welcher Stelle ihr Kleid lag. Da durchzuckte sie ein heftiger Schreck. Am Ufer stand Lazar Vardakas! Wie lange beobachtete er sie schon?
Vor Furcht und Nervosität krampfte sich ihr Magen zusammen. Es widerstrebte ihr, aus dem Wasser zu steigen. Aber sie konnte auch nicht weiter in den Wellen herumplanschen, wenn er ihr dabei zusah.
Sie musste es hinter sich bringen. Es blieb ihr nichts anderes übrig. Dummerweise musste sie an Lazar vorbei, denn ihr Kleid lag ein Stück hinter ihm.
Vielleicht hätte sie es geschafft, stolz erhobenen Hauptes an ihm vorbeizugehen, wenn sie nicht einen Blick in sein Gesicht riskiert hätte. Als sie sah, wie er eingehend ihre Figur bewunderte, überzog eine flammende Röte ihr Gesicht.
Ungeniert ließ er den Blick von ihren hellblonden Locken über ihre nackten Schultern und hinunter zu ihren langen Beinen gleiten, dann wieder hinauf. Besonders schien es ihn zu faszinieren, wie ihr nasser Badeanzug an ihrem Körper klebte. Als sie unwillkürlich seinem Blick folgte und sah, wie sich ihre harten Brustspitzen unter dem Stoff abzeichneten, vertiefte sich ihre Röte noch.
„Hören Sie auf, mich so anzuschauen!“, fuhr sie ihn an.
Eilig ging sie an ihm vorbei, doch als sie ihr Kleid aufheben wollte, kam er ihr zuvor und nahm es an sich.
„Warum schämen Sie sich Ihres Körpers?“
„Das tue ich gar nicht“, widersprach sie.
„Doch, das tun Sie“, beharrte er. „Bisher habe ich Sie in nichts anderem gesehen als in diesen schrecklichen weiten Sackkleidern, in die Sie mit Ihrer schlanken Figur mindestens
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