Die Rache des stolzen Griechen
und schließlich wichen auch die düsteren Schatten ein wenig.
Wie mitfühlend und verständnisvoll Lazar gewesen war!
Sie bereute es in keiner Weise, ihm alles erzählt zu haben, auch wenn sie sich immer noch darüber wunderte, dass sie es überhaupt fertiggebracht hatte. Mit größter Wahrscheinlichkeit würde er jetzt nicht mehr auf seiner Forderung bestehen.
Nach einer Weile stand sie auf und ging ins Bad, um sich für das Abendessen fertigzumachen. Dabei fiel ihr mit Schrecken ein, dass sie bei der ganzen Sache kein einziges Mal an Kit gedacht hatte. Was würde aus ihm werden, wenn Lazar sein angebliches Vergehen nicht sühnen und die Familienehre somit wiederherstellen konnte?
Sie musste es auf der Stelle wissen. Clare schaute auf ihre Armbanduhr. Bis zum Abendessen war es noch eine Stunde hin. Wenn nötig würde sie Lazar auf Knien anflehen, Kit nicht zu bestrafen für etwas, das er sowieso unmöglich getan haben konnte. Doch dann beschloss sie, die eine Stunde noch zu warten.
Kritisch betrachtete sie sich im Spiegel. Seidig umspielten die hellblonden Locken ihr Gesicht. Ihr Haar sah hübsch aus, fand sie. Der Lippenstift fiel ihr ein, den Lazar ihr geschenkt hatte. Sie kramte ihn hervor und trug ihn auf.
War das noch das blasse, verängstigte Mädchen, das Montagnacht mit Lazar Vardakas ins Flugzeug gestiegen war? Die junge Frau, die ihr aus dem Spiegel entgegenblickte, sah irgendwie viel erwachsener aus. Auch ihre Lippen schienen voller zu sein. Lag es nur am Lippenstift, oder eher daran, dass diese Lippen unter Lazars Küssen erst richtig erblüht waren?
Der Gedanke ließ sie erröten. Hastig wandte sie sich vom Spiegel ab und setzte sich in einen der Sessel in ihrem Zimmer, bis es Zeit war, zum Dinner zu gehen. Am besten vergaß sie ganz schnell, auf welche Weise Lazar Vardakas die schlummernde Weiblichkeit in ihr geweckt hatte. Sie sollte sich lieber auf Kit konzentrieren und auf die Frage, wie er einer Bestrafung entgehen konnte.
Die Zeit bis zum Abendessen verging schneller, als ihr lieb war. Mit klopfendem Herzen machte sie sich auf den Weg zum Esszimmer und wünschte sich dabei, etwas Schickeres anzuhaben und nicht eins ihrer üblichen Kleider, die Lazar zu Recht als „Sack“ bezeichnete.
Als Lazar sie kommen sah, blieb er an der Tür zum Esszimmer stehen, um auf sie zu warten. Auch er hatte sich umgezogen und trug zu seiner schwarzen Hose nun ein eng anliegendes schwarzes Polohemd, das seinen muskulösen Oberkörper betonte. Forschend sah er ihr entgegen, wobei sein Blick besonders lang auf ihren blonden Locken ruhte.
Mit einem schüchternen Lächeln kam sie näher. Sie erwartete, dass Lazar sie fragte, wie sie sich jetzt fühle, oder sonst etwas sagte, um die leichte Spannung zwischen ihnen zu vertreiben. Stattdessen verzog er spöttisch den Mund, als bemerkte, dass sie Lippenstift aufgetragen hatte. Ihr Lächeln erlosch bei dem kältesten Blick, mit dem er sie jemals bedacht hatte.
„Lazar, was ist …“, begann sie, doch er ließ sie nicht ausreden.
„Nach dir.“ Mit einer Handbewegung bedeutete er ihr voranzugehen.
Clare glaubte zu erstarren. Mit steifen Schritten betrat sie das Esszimmer und ließ sich auf ihrem Platz nieder. Was war in der Zwischenzeit geschehen? Warum hatte Lazar plötzlich wieder diese kalte Maske aufgesetzt? Sie hatte das Gefühl, mit einem Fremden am Tisch zu sitzen.
Lukas kam und servierte das Essen. Es war hervorragend zubereitet wie alles, was sie bisher hier gegessen hatte, trotzdem schmeckte es ihr wie Pappe. Niemals hätte sie sich träumen lassen, dass das Dinner in einem so quälenden Schweigen verlaufen würde.
Clare hatte Mühe zu schlucken. Jeder Bissen drohte ihr im Hals stecken zu bleiben. Beim Dessert war sie so mit den Nerven fertig, dass ihr der Löffel aus der Hand rutschte und unter den Tisch fiel.
„Lass ihn liegen“, fuhr Lazar sie schroff an, als sie sich mit hochrotem Kopf danach bücken wollte.
Lukas, der seinem Herrn gerade Käse und Biskuits servierte, legte beflissen einen frischen Löffel vor sie hin. Clare bedankte sich. Am liebsten hätte sie den Obstsalat und das Eis stehen gelassen und sich in ihr Zimmer geflüchtet. Doch sie zwang sich zu bleiben. Sie musste Lazar wegen Kit fragen, und wenn es sie eine schier unmenschliche Überwindung kostete. So wartete sie, bis Lukas den Raum verlassen hatte, und nahm dann ihren ganzen Mut zusammen.
„Lazar“, begann sie und fragte sich unwillkürlich, ob sie nicht lieber wieder
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