Die Rache des stolzen Griechen
angstgeweiteten Augen schaute sie ihn an. Sie hatte keine Ahnung, wie lange er schon in ihrem Zimmer war und versucht hatte, sie wach zu bekommen. Sie war auch nicht im Mindesten überrascht, ihn an ihrem Bett zu sehen statt ihre Eltern und Brüder, wie es sonst immer der Fall gewesen war, wenn sie mitten in der Nacht schreiend aus einem dieser furchtbaren Albträume aufgewacht war. Ihr Blick fiel auf die Verbindungstür, die weit offen stand. Lazar musste ihre Schreie gehört haben und sofort in ihr Zimmer gekommen sein.
Beruhigend strich er mit seinen kräftigen Händen über ihre Schultern. Sein Gesicht sah ganz grau aus. Clare wollte ihm versichern, dass sie in Ordnung war, doch kein Laut kam aus ihrer Kehle.
„Th e os!“ , stieß Lazar aus, als er erkannte, dass sie Schwierigkeiten hatte, auch nur ein einziges Wort hervorzubringen. „Sag etwas, Clare“, beschwor er sie. „In Gottes Namen, sag etwas – irgendetwas!“
Sie bewegte die Lippen, brachte jedoch keinen Laut heraus. Eine entsetzliche Angst überkam sie, dass sie nie mehr würde sprechen können. Sie spürte, wie der Druck von Lazars Händen auf ihren Schultern sich verstärkte.
„Versuch es, Clare“, bedrängte er sie, und auch in seiner Stimme schwang die Angst mit. „Bitte versuch es!“
Sie rang nach Luft, die Augen vor Schreck immer noch weit aufgerissen.
„Oh, Lazar!“, kam es endlich über ihre Lippen. Dann brach sie in Tränen aus.
„Gott sei Dank!“ Er zog sie in die Arme und wiegte sie wie ein Baby. Dabei sagte er immer wieder: „ Agapémene, agapémene . Du bist in Sicherheit, Kleines.“
Seine Worte wirkten beruhigend auf sie, doch die Tränen flossen trotzdem weiter. Voller Angst, er könnte sie allein lassen und in die Dunkelheit zurückstoßen, klammerte sie sich an ihm fest.
Minuten vergingen, in denen Lazar sie fest umschlungen hielt. Allmählich ließ ihr Schluchzen nach. „Ich … Es war nicht meine Schuld!“, brach es dann aus ihr heraus.
„Pst, es ist ja gut.“ Tröstend strich Lazar ihr übers Haar. Doch Clare wollte sich nicht beruhigen lassen.
„Es war nicht meine Schuld!“, wiederholte sie heftig.
„Was war nicht deine Schuld?“, fragte er sanft, denn er merkte, dass sie noch etwas auf dem Herzen hatte.
„Ich … Es hat dich abgestoßen, als ich dir von … damals erzählte. Du dachtest, ich wäre selbst schuld daran gewesen. Nein, so war es nicht.“ Clare schluchzte auf. „Beim Abendessen bist du so grausam und kalt zu mir gewesen. Aber ich konnte doch nichts dafür. Er hat mich einfach gepackt …“
Lazar ließ einen Wortschwall auf Griechisch vom Stapel. Er hielt Clare ein Stück von sich und blickte ihr in die tränennassen Augen. Als sie den fassungslosen Ausdruck in seinem Blick sah, fragte sie sich, ob sie seine kalte Miene beim Abendessen falsch gedeutet hatte.
„Clare, süße kleine Clare.“ Er kehrte wieder zur englischen Sprache zurück. „Ich war nicht abgestoßen. Nicht von dir. Wie könnte ich auch?“
„Nein?“ Ihr Schluchzen verebbte. Forschend blickte sie ihn an.
„Ich war nur zornig, dass dein Vater den Kerl nicht hinter Gitter gebracht hat.“
„Aber … beim Dinner …“
„Verzeih, ich war ein Ekel. Dein Bericht hat mich ziemlich aufgewühlt. Mir wurde klar, dass es für dich die Hölle gewesen sein musste, das alles noch einmal nachzuerleben. Und ich hatte dich dazu gedrängt, es mir zu erzählen! Ich wollte, dass du ohne Angst schlafen gehst, ohne ständig daran zu denken, dass ich im Zimmer nebenan bin. Deshalb bin ich so lange ausgeblieben, bis ich dachte, du würdest ruhig schlafen.“
Er zog sie wieder an sich und strich ihr übers Haar. Clare wollte ihm sagen, dass sie keine Angst vor ihm hatte, doch sie brachte kein Wort heraus.
Nach und nach verlor der Albtraum seine Macht über sie. Lazar streichelte sie immer noch. Sie hatte diese sensible Seite schon einmal an ihm erlebt. Doch sie wollte nicht, dass er sich schuldig fühlte.
„Lazar, es war nicht deine Schuld, dass ich diesen Albtraum hatte“, sagte sie, auch wenn es nicht ganz der Wahrheit entsprach. „Ich habe diese furchtbaren Träume schon seit Jahren, wenn auch nicht mehr so oft wie zuvor.“
Sie sah, dass es für ihn kein Trost war. Vermutlich glaubte er ihr nicht, und schon ihr Anblick allein rief Schuldgefühle in ihm hervor.
„Ich bin wieder vollkommen in Ordnung“, versicherte sie ihm und deutete damit an, dass er sie allein lassen konnte.
„Hast du noch ein anderes
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