Die Rache ist Dein
noch höher klingen ließ. Ein Wunder, daß die Hunde nicht losheulten. »Soll ich dir helfen, Kleine?«
Das kleine Mädchen steckte den Daumen in den Mund. Hannah griff nach der anderen Hand und führte die Kleine über die schwankende Brücke. Sobald sie drüben waren, rannte Hannah wieder los. Marge beobachtete sie verblüfft.
»Ich weiß«, sagte Rina. »Sie ist hyperaktiv, und sie gibt nie Ruhe.«
»Du mußt völlig erschöpft sein.«
»Wäre ich auch, wenn ich mir nicht sagen würde, daß es das letzte Mal ist und so schnell vorbeigeht.« Rina sah sich um. Im Park war nicht viel los, weil viele, die sonst hierherkamen, am Sonntag länger schliefen. Es war ein hübscher Park, übersichtlich genug, um Hannah im Auge zu behalten. Ein Zaun umschloß einen Spielplatz mit Klettergerüsten, Reckstangen, Schaukeln und Rutschen, einige davon mit Kurven und Windungen und Röhren, die jedem Vergnügungspark Ehre gemacht hätten. Manchmal wurde hier auch Football und Baseball gespielt — es gab sogar Zuschauerbänke mit abblätternder Farbe - und auch Picknicktische und ein Grillplatz waren vorhanden. Vor dem Park war alles zugeparkt, aber Rina hatte auf der anderen Straßenseite noch einen Platz für den Volvo gefunden. »Wo ist Vega?« fragte Rina.
Marge deutete zu einer Bank am Spielfeld. Vega saß über ein Buch gebeugt. »Ich hab sie hergebracht, um ihr Radfahren beizubringen. Keiner kann behaupten, daß ich es nicht versuche.«
Rina sah sie verwirrt an. »Was versuchen?« Marge runzelte die Stirn. »Was meinst du?«
»Ich weiß es nicht. Darum frage ich ja.«
»Ich versuche, sie dazu zu bringen ... nein, das ist nicht das richtige Wort.« Marge seufzte genervt. »Ich versuche ihr zu helfen, die Kindheit nachzuholen, die sie verpaßt hat. Du weißt schon ... Radfahren, Schlittschuhlaufen, Musik hören, die ich nicht ausstehen kann oder Himmel, sogar fernsehen.«
Rina unterdrückte ein Lächeln. »Du willst, daß sie fernsieht?«
»Natürlich nicht die ganze Zeit!« Marge gab es auf. »Ich weiß, ich hör mich wie eine Idiotin an. Mein Kind liest dauernd! Wie furchtbar. Aber ich möchte nicht, daß sie alles andere ausschließt. Das kann doch nicht gesund sein.«
»Für die Augen wahrscheinlich nicht. Aber bestimmt für den Verstand.«
»Du verstehst das nicht.«
Rina zuckte philosophisch die Schultern. »Mag sein.«
Jetzt kam sich Marge noch idiotischer vor. Da hatte sie gerade einer Mutter, die seit fast zwanzig Jahren Kinder erzog, erklärt, sie hätte keine Ahnung von Kindererziehung. Und Marge, die seit acht Monaten das Sorgerecht für einen Teenager hatte, spielte sich als Expertin auf. Sie wippte mit dem Fuß. »Du hältst das nicht für problematisch? Daß sie den ganzen Tag liest?«
»Korrigier mich, wenn ich falsch liege. Aber ich glaube, du machst dir keine Sorgen wegen ihre Leserei, du machst dir Sorgen um ihre Integration.« Leise sagte Marge: »Was soll ich tun?«
Rina legte Marge den Arm um die Taille. Sie hätte ihn ihr um die Schulter gelegt, aber Marge war zu groß. »Ich finde, du machst das prima. Sie wirkt sehr glücklich.«
»Sie ist so still. Außer bei dir! Mann, wie sie da redet. Vielleicht bin ich nicht die richtige ... «
»Hör auf.«
»Schon gut.« Marge verzog das Gesicht. »Ich weiß, daß sie viel durchgemacht hat. Ich weiß, daß sie in einer isolierten, bizarren Umgebung aufgewachsen ist. Aber sie lebt nicht mehr so. Die ganze Welt steht ihr offen.«
Rina lächelte. Es gab vieles, was sie ihrer Freundin sagen konnte, doch sie hielt sich mit Ratschlägen zurück, weil das für gewöhnlich ins Auge ging. »Ich würde mir nicht zu viel Sorgen machen.«
»Ehrlich?«
Rina nickte, brüllte dann: »Hör auf zu schreien, Hannah!« Leise fuhr sie fort: »Wenn sie so weitermacht, reißen ihr noch die Stimmbänder.«
»Siehst du, du machst dir auch Sorgen!« sagte Marge. »Wie bitte?«
»Du machst dir Sorgen um Hannahs Stimmbänder.«
Rina lachte. »Ja, ich mach mir Sorgen. Darüber, ob Sammy in Israel sicher sein wird. Ob Jacob jemals die Pubertät übersteht. Ich mach mir Sorgen um Hannah. Sie ist so klein und verletzlich. Ich mach mir jeden Tag Sorgen um Peter, wenn er seine Waffe einsteckt und zur Arbeit geht. Aber egal, wie sehr ich mich sorge, wie sehr ich mich quäle, die Hände ringe und mir an die Stirn schlage, weiß ich doch, daß mir ein Magengeschwür nicht helfen wird. Es schadet mir eher, weil ich dann, wenn meine Familie mich wirklich braucht, in
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