Die Rache ist Dein
kein Baby mehr. »Schätzchen, ich muß dich absetzen.«
»Bitte«, bettelte Hannah. Sie klammerte sich an ihre Mutter. »Mein Knie tut weh.«
Nachdem der Hundekot keine Ablenkung mehr war, hatte sich Hannah wieder an ihre Wunde erinnert. »Mein Rücken tut weh«, erklärte Rina.
Widerstrebend rutschte die Kleine runter. »Entschuldige, Ima.«
»Danke, Süße.«
Früher hatte Hannah Mommy zu ihr gesagt. Seit sie in die erste Klasse ging, sagte sie Ima, wollte so erwachsen sein wie ihre großen Brüder. »Ich helf dir, die Tasche zu tragen ... «
»Laß nur. Das kann ich alleine.«
»Nein, ich helf dir.« Sie zog an den Riemen. Da Rina nicht Tauziehen spielen wollte, überließ sie ihr die Tasche. Hannah mühte sich ab, ihre roten Locken hüpften, während sie unsicher schwankte. Die Sonne spiegelte sich in ihren dunkelolivfarbenen Augen. Sie hätte Colleen oder Megan heißen sollen. »Kann ich dir helfen?« fragte Rina.
»Nein, ich schaff das.« Ächzend und brummelnd, seufzend und stöhnend richtete sie sich auf, ganz die tapfere kleine Kriegerin. »Ich ... hmpf schaff das.«
Wie verschieden ihre Kinder waren. Ihre Söhne, die dieselben Eltern hatten, waren so gegensätzlich. Schmuel war ernst, Yonkie heiter und unbeschwert ... zumindest, bis er sechzehn wurde und die Hormone mit Macht zuschlugen.
Sie erreichten den Straßenrand. Rina bückte sich und nahm Hannahs weiche kleine Hand. Mit der anderen griff sie nach der Tasche. »Komm.«
Gemeinsam überquerten Mutter und Tochter die Straße. Rina wühlte in ihrer Riesentasche, fischte die Schlüssel heraus. Sie öffnete die Rückklappe des Kombis, und Hannah kletterte sofort hinein. »Hannah«, schimpfte Rina. »Komm sofort da raus. Du sollst nicht über die Rückbank klettern.«
»Bitte, bitte, bitte.«
Rina seufzte. »Vorsicht, damit ich dir die Klappe nicht auf die Finger knalle.« Sie schlug die Tür kräftig zu, wirbelte Staub vom schmutzigen Teppichbelag auf. Rina nieste laut, Hannah war im Inneren des Volvos verschwunden. Auf dem Weg zur Fahrertür suchte Rina in der Tasche nach Papiertüchern.
Gleichzeitig packten fremde Finger ihren rechten Arm und etwas Kaltes, Hartes preßte sich ihr in den Rücken. Instinktiv wußte sie, was es war. Noch bevor er sprach, war ihr klar, was hier passierte. »Wenn du schreist oder dich bewegst, bist du tot.«
Eine rauhe Stimme ... mit Akzent. Rina erstarrte, während sich die Waffe tiefer in ihren Rücken bohrte. Im Gegensatz zu den anderen Carjacking-Opfern wußte sie, was passierte. Sie wußte, was er tun würde. Aber das nützte ihr wenig, weil sie vor Furcht wie gelähmt war.
Die Stimme sagte: »Tu, was ich sag, sonst bist du tot. Geht auf die andere Seite vom Wagen und mach die Tür auf. Los!«
Rina übersetzte Er sagt, ich soll zur Beifahrertür gehen. Du weißt, was passieren wird. Nutz dein Wissen.
Sie sah hinüber zum Park, zu den fernen Menschen und der fernen Marge, die immer noch an ihren Schuhen rumwischte.
Um Himmels willen, schau her! schrie sie lautlos. Aber Marge war total vertieft.
Rina mußte allein klarkommen. Sie dachte an die Trauerfeier für Yitzhak, an das Gebet, das sie immer noch oft für ihren verstorbenen Mann sprach.
Der Mensch ist wie ein Atemzug, seine Tage sind ein flüchtiger Schatten ...
Denk jetzt nicht daran!
Wenn sie schrie, würde er sie bestimmt erschießen. Aber das mochte es wert sein, weil Hannah im Auto saß.
»Los jetzt!« flüsterte er drohend. »Geh oder ich mach dich kalt!« Hannah war im Auto! Tot oder lebendig, sie würde ihm das Auto nicht überlassen, solange Hannah drin war! Langsam bewegte sich Rina auf die Beifahrertür zu, drehte wieder den Kopf im Marges Richtung. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Vega herüberschaute. Ihre Blicke trafen sich für einen Sekundenbruchteil. Aber das reichte, denn der Teenager faßte Marge an der Schulter. Die Waffe bohrte sich tiefer in Rinas Rücken, bis sie vor Schmerz zusammenzuckte. »Sieh gradeaus«, knurrte er. »Los!« Tu was!
Okay, Marge, ich schlag dir was vor. Ich tu was, wenn du was tust. Und, Gott, es könnte nicht schaden, wenn du uns ebenfalls hilfst.
Rina ließ die Schlüssel aus den Fingern gleiten. Mit hörbarem Klirren fielen sie auf die Straße. »Was war das?«
»Ich hab die Schlüssel fallen lassen. »Was?«
Mit ihrem ganzen Gewicht ließ sich Rina zu Boden fallen, unterbrach den Kontakt mit der Waffe für einen Moment. Vielleicht würde der Moment genügen. Sie rollte sich zusammen, die
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