Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
versuchte dabei fröhlich zu
klingen. »Wie geht’s denn heute?«
Er sah gar nicht her. »Ich folge nur dem Rad da vor mir«, erwiderte
er unbewegt.
Ich wartete, war noch nicht bereit, das so zu schlucken. Dann
schüttelte ich traurig den Kopf und löste mich von seiner Seite. Ich versuchte
es nicht persönlich zu nehmen. Vielleicht hatte Jens nur Angst, mit mir in Verbindung
gebracht zu werden. Vielleicht funktioniert auch nur die Bruderschaft auf eben
diese Weise: Du bist entweder dabei oder draußen. Dazwischen gibt es nichts.
Haven und ich wurden uns unterdessen immer fremder. Den größten Teil
der Saison 2007 trainierte ich in Italien bei Cecco, während Haven in Boulder
blieb, ihre Maklerlizenz erwarb und ihre berufliche Laufbahn wieder in Schwung
brachte. Wenn ich fort war, redeten wir nicht viel, und wenn ich nach Hause
kam, war ich nicht die angenehmste Gesellschaft. Ich hatte mit den Belastungen
des Comebacks ebenso zu kämpfen wie mit meinen Depressionen. Außerdem ist es
nicht besonders erfreulich, wenn man versuchen muss, seinen Schwiegereltern zu
erklären, wie ihr Nachname auf das Fax eines berüchtigten spanischen Arztes
gelangt ist. Unser Haus im Sunshine Canyon entwickelte sich allmählich zu einem
Museum der Hoffnungen, die uns verloren gegangen waren. Wir waren Zombies,
erledigten den Alltag automatisch – und irgendwann war klar, dass es nicht mehr
funktionierte. Im Herbst 2008 wurden wir geschieden. Wir regelten das auf
schlichte und freundliche Art: ein Rechtsanwalt, alles wurde hälftig geteilt,
kein Streit, kein Chaos und viele gute Wünsche füreinander. Es war, als würden
wir aus den Trümmern klettern, uns die Hände reichen und dann getrennte Wege
gehen.
Rock Racing wurde Anfang 2008 zur Tour of California eingeladen: ein
großes Rennen, das mir Gelegenheit bot, zu zeigen, was ich draufhatte. Und dann
zogen uns die Veranstalter – wie im Vorjahr beim Giro d’Italia – den Boden
unter den Füßen weg und schlossen alle Fahrer aus, die von der Operación Puerto
betroffen waren. Das war nicht fair. Ich hatte meine Sperre abgesessen und
hätte jetzt die Chance haben sollen zu fahren. Außerdem waren da Botero und
Sevilla; beide waren Tausende von Kilometern geflogen, um hier zu starten. Wir
beschlossen, aus Protest beim Team zu bleiben, und hofften darauf, dass sich
andere Fahrer für uns einsetzen würden. Aber niemand machte den Mund auf. Sie
hatten Angst, es könnte ihrem Image schaden, wenn sie »bekannte Doper«
unterstützten.
Ich unterdrückte meinen Ärger und siegte bei einigen großen Rennen
wie der Tour of Qinghai Lake in China – und dann, im August, holte ich den US -Meistertitel im Straßenfahren. Es war gut, einen
gewissen Grad von Wiedergutmachung zu erleben, vor allem bei der Meisterschaft,
als ich meinem alten Zimmergenossen George Hincapie und einer großen Zahl
amerikanischer Spitzenprofis das Hinterrad zeigte.
Aber die Befriedigung war nur von kurzer Dauer. Jeder Sieg war
überschattet von einem Gefühl für das, was verloren gegangen war, jedes
Interview enthielt die Geschichte von meinem positiven Test und erinnerte mich
daran, dass es kein Entkommen vor der Vergangenheit gab. Ich war angeschlagen,
ein 37 Jahre alter Radrennfahrer mit lädiertem Ruf, der von Rennen zu Rennen
tingelte, ohne Frau, ohne Zuhause, ohne Zukunftsaussichten. Ich fing an, zu
viel zu trinken; meine Depressionen verschlimmerten sich.
Im Herbst 2008 überraschte Lance die Welt mit der
Ankündigung seines Comebacks. Er sagte, er komme zurück, um die Öffentlichkeit
für das Thema Krebs zu sensibilisieren. Für mich war der wahre Grund jedoch
sonnenklar: Durch all die Skandale wurde sein Lebenswerk beschädigt. Er drängte
zurück ins Spiel, wollte die Kontrolle wieder übernehmen. Warum auch nicht? Er
konnte die Tester überlisten, hart arbeiten und das alte Spiel wieder
aufnehmen. Wie früher verspürte er den alten Drang, den Einsatz zu erhöhen. Ein
großer Sieg, und alle würden den Mund halten. [8]
Lance kam zurück, und mein Weg führte in die andere Richtung. Im
Frühjahr 2009 wurde ich abermals positiv getestet. Ich war damals auf der Suche
nach einem natürlichen Ersatz für meine Antidepressiva und stieß dabei auf ein
frei verkäufliches Mittel auf Pflanzenbasis, das aber auch DHEA (Dehydroepiandrosteron) enthielt, ein Steroidhormon.
Diese Substanz war zwar nicht leistungsfördernd, stand aber auf der
Dopingliste. Ich wusste genau, dass DHEA verboten
war, suchte aber
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