Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
Renngeschehen einzusteigen. [3]
Eine Niederlage kann auch zur Klärung der eigenen Ansichten
beitragen. Wir erkannten, wie naiv wir gewesen waren, wie wir alles in einen
hoffnungslosen Fall investiert hatten. Ich begriff, wie das System wirklich
funktionierte. Das war keine Gerichtsverhandlung – wir waren nicht unschuldig,
bis unsere Schuld bewiesen wurde. Der Schlüsselbegriff der USADA lautete »hinreichende Zufriedenheit« (»comfortable
satisfaction«). Sie sahen sich die Beweise an, und dann fällten sie eine Entscheidung.
Am Ende, so empfanden wir es, hatten wir trotz all unserer Anstrengungen nie
eine echte Chance gehabt.
Rückblickend sehe ich, dass dies wohl der Augenblick war, in dem die
Partnerschaft mit Haven zu scheitern begann. In den letzten Jahren hatte sich
unsere Ehe eher zu einer Geschäftsbeziehung entwickelt. Oft fühlten wir uns wie
ein überarbeitetes Rechtsanwaltspaar, das eben noch im selben Bett schlief. Bis
zu den Urteilen hatten wir uns eingeredet, die ganze Plackerei würde der Mühe
schon wert sein. Wenn unsere Unschuld erst bewiesen und der Makel weggewischt
sei, würden wir umso stärker zurückkommen.
Jetzt, in den ruhigen Wochen nach der Entscheidung, erkannten wir,
wie unglaublich müde wir waren – müde vom Kampf gegen das System, müde vom Verlieren,
müde vom Rollenspiel des niemals aufgebenden Radfahrers und der mutigen,
unterstützenden Ehefrau. Wir hatten so hart gearbeitet, hatten wirklich alles
gegeben, und es war alles umsonst gewesen. Wir versuchten uns wieder zu
sammeln, redeten uns ein, das sei nur ein weiterer Rückschlag gewesen. Wir
konnten diese Sache durchstehen, wie wir bisher auch alles andere
durchgestanden hatten. Aber in Wirklichkeit, so stellten wir fest, hatte diese
Zähigkeit – wie auch unsere Beziehung – ihre Grenzen.
Als der CAS meinen letzten
Berufungsantrag ablehnte, war Lance bereits zurückgetreten. Er hatte 2005
seinen siebten Tour-Sieg herausgefahren und die Zweifler vom Siegertreppchen
herab so angesprochen: »Ihr tut mir leid. Ihr tut mir leid, weil ihr keine
großen Träume haben könnt, und ihr tut mir leid, weil ihr nicht an Wunder
glaubt.« Sprach’s und radelte davon, in den Sonnenuntergang hinein. [4]
Und dann, mit einem Timing, das man nur als dramatisch bezeichnen
kann, erlebte der Radsport seinen nächsten großen Skandal. Der betraf diesmal
allerdings jemanden, den ich ziemlich gut kannte. Ufe.
Ende Mai 2006 durchsuchte die spanische Polizei Ufes Büro in Madrid – das Büro, das mir so vertraut war – sowie einige Wohnungen in der
unmittelbaren Umgebung. Dabei kam eine Sammlung von Beweisen ans Licht, die
alle Welt verblüffte. 220 Blutbeutel. 20 Plasmabeutel. Zwei Kühlschränke. Ein
Tiefkühlschrank (das war wohl, so nahm ich an, das gute, alte Sibirien). Große
Plastikbeutel, die nicht weniger als 105 verschiedene Medikamente enthielten,
unter anderem Prozac, Actovegin, Insulin und EPO .
Rechnungsunterlagen und Rechnungen. Preislisten. Kalender. Hotellisten für die
Tour de France und den Giro d’Italia. Und Belege für die Bonuszahlungen, die
ihm zustanden, wenn ein Kunde eine Etappe oder ein Rennen gewann.
Ich hatte gewusst, dass Ufe ein vielbeschäftigter Mann war. Und ich
hatte auch immer gewusst, dass er mit anderen Fahrern zusammenarbeitete – er
selbst hatte mir von Ullrich und Basso erzählt. Aber jetzt wurde die ganze
Wahrheit deutlich: Ufe hatte keine Boutique für Spitzenfahrer betrieben; er war
ein Ein-Mann-Supermarkt gewesen, der seine Dienste offensichtlich dem halben
Peloton zur Verfügung gestellt hatte. Die Polizei ermittelte offiziell
Verbindungen zu 41 Radrennfahrern. Inoffiziell verlautete aus Polizeikreisen,
es könnten noch mehr Personen sein, auch Tennisspieler und ganze
Fußballmannschaften. Die Staatsanwaltschaft schätzte Ufes Einnahmen aus diesen
Geschäften für das erste Quartal 2006 auf 470 000 Euro.
JONATHAN VAUGHTERS : Über Fuentes
und all diese Typen muss man wissen, dass sie aus einem bestimmten Grund zu
Dopingärzten wurden. Auf dem herkömmlichen Weg haben sie es nicht geschafft,
also sind das nicht gerade die bestorganisierten Leute. Man kann also damit
rechnen, dass sie schon mal einen Blutbeutel in der Sonne liegen lassen, weil
sie im Café noch ein Glas Wein trinken wollen. Der tödliche Fehler, den Tyler,
Floyd, Roberto [Heras] und die anderen machten, als sie von Postal weggingen,
war, dass sie annahmen, sie würden andere Ärzte finden, die
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