Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
suchte.
Im November 2006 unterschrieb ich einen mit 200 000 Dollar
dotierten Einjahresvertrag bei einem kleinen italienischen Team namens Tinkoff
Credit Systems. Es gehörte einem russischen Restaurant-Tycoon namens Oleg
Tinkoff. Er war ein Schlitzohr, das schlau genug war, eine Marktlücke zu
erkennen: Er beschloss, Fahrer unter Vertrag zu nehmen, die erwischt worden
waren und die von anderen Teams deshalb geschnitten wurden: mich, Danilo Hondo,
Jörg Jaksche (er wollte auch Ullrich verpflichten, aber der war immer noch
gesperrt).
Der Giro d’Italia im Mai 2007 sollte mein erstes großes Rennen nach
dem Comeback werden. Vor dem Start zeigte ich genau, wie sehr die Sperre meine
Einstellung verändert hatte: Über einen italienischen Freund im Fahrerlager kam
ich zu etwas EPO und brachte mich so auf ein
gewisses Niveau. Ich mochte ein Betrüger gewesen sein, aber ich war kein Idiot.
Ohne BB s hatte ich natürlich nicht die leiseste
Chance auf den Gesamtsieg; ein Etappenerfolg wäre mehr als genug.
Am Tag vor dem Giro-Start setzte die UCI die teilnehmenden Teams mit einem ihrer bewährten Vorstöße unter Druck. Nach
der Devise »Lasst uns so tun, als sorgten wir für einen sauberen Radsport« sollten
sie keine Fahrer an den Start bringen, die von den noch andauernden
Ermittlungen der Operación Puerto betroffen waren. Jörg Jaksche und ich waren
damit vom Giro ausgeschlossen, Tinkoff stoppte die Gehaltszahlungen, und ich
sah mich nach einem neuen Team um.
Im Herbst 2007 unterschrieb ich einen 100 000-Dollar-Vertrag bei Rock
Racing, einem neuen amerikanischen Team, das von dem charismatischen
Modeunternehmer Michael Ball gegründet worden war. Ball wollte ein Team mit
Rock-’n’-Roll-Ausstrahlung aufbauen; er wusste, dass Verrufenheit durchaus
verkaufsträchtig sein konnte, wenn sie nur richtig verpackt wurde. Zusammen mit
mir engagierte er Santiago Botero und Óscar Sevilla, zwei weitere Flüchtlinge
vor der Operación Puerto. Uns war klar, dass wir mit einem solchen Aufgebot
nicht zur Tour de France eingeladen werden würden. Aber wir fuhren gut, und wir
hatten Spaß miteinander. Wir genossen es auf eine gewisse Art, die bösen Buben
des Radsports zu sein, ließen uns die Haare wachsen, trugen coole Dienstkleidung.
Ball gab große Partys und fuhr schnelle Autos. Es fühlte sich gut an,
loszulassen.
Ironie des Schicksals: Während meiner Profikarriere sah ich aus wie
ein Pfadfinder und dopte, und jetzt, bei meinem Comeback, kam ich wie ein
Rock-’n’-Roller daher und war meistens clean, ohne Edgar. (Testosteron nahm ich
ein paarmal.) Ich möchte hier klarstellen: Das hatte nichts mit Moral zu tun.
Hätte mir jemand Edgar angeboten, hätte ich es sicher genommen, keine Frage.
Ich wusste doch, dass die Welt sich nicht geändert hatte – die Jungs an der
Spitze spielten das Spiel noch ganz wie zuvor, wenn auch mit etwas strengeren
Prüfungen seitens der Tester. Ich hatte nur die entsprechenden Verbindungen
nicht mehr, außerdem fuhren wir kürzere Rennen, meist in den USA und gegen weniger harte Konkurrenz. Ich empfand es
als wirklich befriedigend, dass ich mit Wasser und Brot noch immer gute
Resultate einfahren konnte, ganz wie damals als Profi-Neuling.
Weniger befriedigend war dagegen das Verhalten mancher Fahrer, wenn
ich bei größeren Rennen, etwa bei der Tour of California, wieder im Peloton
auftauchte. Ich hatte dort immer einen Haufen Freunde gehabt, hatte mir immer
etwas darauf zugutegehalten, wie ich mit den Leuten umging. Ich rechnete
natürlich nicht damit, wie ein glanzvoller Held aufgenommen zu werden, doch
wenigstens einen Gruß, ein bisschen Freundlichkeit hätte ich schon erwartet.
Ein paar Jungs waren auch großartig. Ich erinnere mich an den sehr herzlichen
Chechu Rubiera. Insgesamt aber wurde ich im Peloton nicht gerade mit offenen
Armen empfangen.
Kurz nach meinem Comeback traf ich Jens Voigt in einem Rennen. Jens
ist einer der beliebtesten Fahrer im Feld. Er ist lustig und extrovertiert, und
wir sind immer gut miteinander ausgekommen. Ich freute mich sehr über das
Wiedersehen und fuhr, eine kurze Unterhaltung erwartend, zu ihm auf. Ich
merkte, wie er kurz zu mir herüber sah und dann stur geradeaus starrte. Wie
sollte ich darauf reagieren? Wir fuhren eine ganze Minute lang so weiter, nur
wenige Zentimeter lagen zwischen uns.
Vielleicht macht er nur Spaß, dachte ich. Das ist vielleicht ein Witz, und er wird gleich lächeln.
Nichts.
»Hey, Jens«, sagte ich schließlich und
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