Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
dabei auf drei Wörter: VERRÜCKT. LUSTIG. HELLWACH . Und das stimmt. Einmal
verliebte sie sich auf eBay in einen 1979er Oldtimer-Jeep, einen Grand
Wagoneer. Im Nu flogen wir nach Texas, um das Ding abzuholen und damit nach
Boulder zurückzufahren. Wir nannten es die »grüne Maschine« und erkundeten
damit die Berge der Umgebung. Ich glaube, für Lindsay war ich ein bisschen wie
dieses Auto: hohe Laufleistung, ein paar Beulen, aber allemal einen Versuch
wert.
Das sollte mein neues Leben werden. Ich versuchte, unter dem Radar
zu bleiben. Sah mir keine Minute der Tour an. Ich verbrachte meine Freizeit mit
Freunden und unternahm lange Läufe in den Bergen mit Tanker, meinem neuen
Golden Retriever, der Tugboat in nichts nachstand, wenn unerschöpfliche Energie
gefragt war. Ich spielte Hallenfußball, führte mein Unternehmen und hielt mich
von der hochgradig wettkampforientierten Radrennfahrer-Szene in Boulder fern.
Ich hatte keine wirklich klare Vorstellung von der Zukunft, wenn man einmal
davon absieht, dass ich versuchen wollte, noch mehr gute Tage zu erleben, nach
vorne zu schauen und ein normaler Mensch zu sein.
Ich dachte, das wäre es gewesen. Ich dachte, dass all die Dramen mit
Lance vorbei, erledigt und begraben seien. Aber wie ich schon bald herausfinden
sollte, war die Vergangenheit nicht tot. Sie war noch nicht einmal vergangen.
14
NOVITZKYS BULLDOZER
Ein ruhiger Abend Mitte Juni 2010. Ich war zu Hause in
Boulder, lag auf dem Bett und sah mir einen Gangsterfilm an: The Bank Job. Mitten im Film
brummte mein Handy: eine SMS .
Mein Name ist Jeff Novitzky. Ich bin Ermittler der FDA . Ich möchte mit Ihnen reden. Bitte rufen Sie mich
unter dieser Nummer an.
Mein Herz hämmerte. Natürlich kannte ich den Namen.
Novitzky hatte Barry Bonds vor Gericht und andere Doper hinter Gitter gebracht,
unter ihnen die Olympia-Goldmedaillen-Gewinnerin Marion Jones. Er wurde oft mit
Eliot Ness verglichen, dem aufrechten Cop, der während der Zeit der Prohibition
gegen die Korruption angekämpft hatte, und so sah er auch aus: groß, dünn, mit
rasiertem Kopf und einem durchdringenden Blick. Ich hatte erwartet – und
befürchtet –, dass er sich mit mir in Verbindung setzen würde.
Begonnen hatte alles einige Wochen vorher, als Floyd Landis eine
Bombe platzen ließ: in Form einer E-Mail an den US -amerikanischen
Radsportverband, mit Daten und Namen und sehr detaillierten Angaben über Lance
und das Postal-Team. Die Nachricht verbreitete sich schnell um die ganze Welt,
und bei der Kalifornien-Rundfahrt stand Lance vor seinem Mannschaftsbus und tat
das, was er immer tat: kein bisschen Überraschung zeigen. Er behauptete, Floyd
sei verbittert und habe wohl auch psychische Probleme. Zugleich aber setzte er
still und leise teure Anwälte in Bewegung. Erst als Juliet Macur, die
Reporterin der New York Times, Novitzkys Namen ins
Spiel brachte, wurde Lance nervös. »Warum sollte … warum sollte Jeff Novitzky
sich dafür interessieren, was ein Sportler in Europa macht?«, stammelte er.
Lance war zu Recht nervös. Innerhalb weniger Tage erhob der
Bundesstaatsanwalt Doug Miller, der mit Novitzky im BALCO-Fall
zusammengearbeitet hatte, Anklage vor einem Geschworenengericht. Zeugen wurden
vorgeladen und mussten die Wahrheit sagen, wenn sie nicht selbst wegen Meineids
im Gefängnis landen wollten. Es war Lance’ größter Albtraum – eine mit
Nachdruck geführte gerichtliche Untersuchung darüber, wie er die Tour de France
gewonnen hatte.
Es schien gerecht und war vielleicht unvermeidbar, dass ausgerechnet
Floyd schließlich auspackte: der Mennoniten-Sohn, der mit seinem eisernen
Durchhaltewillen Lance in nichts nachstand. Floyd störte gar nicht so sehr das
Doping. Aber er hasste Ungerechtigkeit, hasste sie aus tiefster Seele. Den
Missbrauch von Macht. Die Vorstellung, dass Lance ihm mit voller Absicht die
Chance vermasselt hatte, wieder Rennen zu fahren.
Floyd hatte nur wieder fahren wollen. Als seine Sperre endete, hatte
er nach einem Weg zurück ins Peloton gesucht. Doch Lance und der Sport
ignorierten ihn und zogen ihn durch den Schmutz, und so hangelte Floyd sich
allein durch eine Reihe kleinerer Teams. Für Lance wäre es ein Leichtes
gewesen, Floyd einen Platz in seinem oder einem anderen Team zu verschaffen.
Ein Griff zum Telefonhörer hätte genügt. Die ganze Untersuchung hätte vermieden
werden können, wenn Lance sich Floyd gegenüber wie ein Freund verhalten hätte,
ihm die Hand gereicht und die Wogen geglättet
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