Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
im Fernsehen gesehen hatte. In der
Zwischenzeit gingen bei meinem Anwalt mehrere dringende Anrufe von Lance’
Anwälten ein, die mir kostenlos ihre Dienste anboten. Das war wieder typisch
Lance: Sechs Jahre lang hatte ich absolut null Unterstützung von ihm bekommen.
Und jetzt, wo es eng wurde, wollte er mich plötzlich wieder im Team haben. Nein
danke.
Am Tag vor meiner Aussage vor Gericht flog ich nach Los Angeles, um
mich mit Manderson und Brent Butler zu treffen, einem seiner Anwaltskollegen,
der früher als Staatsanwalt gearbeitet hatte. Wir setzten uns in einem kleinen
Konferenzraum zusammen. Sie wollten meine Aussage mit mir durchgehen und
begannen mit der einfachsten Frage: Erzählen Sie uns von
Ihrer Anfangszeit im Postal-Team.
Eine Flut von Bildern und Erinnerungen schoss durch meinen Kopf. Das
erste Treffen mit Lance bei der Tour DuPont, Thom Weisels raue Stimme, die
weißen Beutel, die roten Pillen, Motoman und Ferrari und Ufe und Cecco. Ich
holte tief Luft und begann am Anfang, so gut ich konnte. Ich sah, wie Manderson
und Butler ganz still wurden. Sie lehnten sich zurück. Sie stellten keine Fragen
mehr, hörten einfach nur noch zu und ließen mich nicht aus den Augen. Es kam
mir vor wie eine Stunde, aber als ich aufsah, waren vier Stunden vergangen.
Es hört sich seltsam an, aber ich hatte es noch nie so erzählt,
alles, von Anfang bis Ende. Doch es fühlte sich nicht gut an, jetzt, nach 13
Jahren endlich die Wahrheit zu sagen. Es tat weh. Mein Herz raste wie bei einem
steilen Aufstieg. Aber sogar durch diesen Schmerz hindurch fühlte ich, dass es
ein Schritt nach vorn, dass es richtig war. Ich wusste, dass es kein Zurück
mehr gab. Ich verstand, was Floyd gemeint hatte, als er sagte, er habe sich
sauber gefühlt, nachdem er die Wahrheit gesagt hatte, weil ich mich jetzt auch
sauber fühlte, ich fühlte mich wie ein neuer Mensch.
Am nächsten Tag fuhr ich mit Manderson und Butler zum
Gerichtsgebäude in der Innenstadt von Los Angeles. Wir waren früh dran, und
Novitzky erwartete uns an der Tür. Er war groß (um die zwei Meter), wirkte
sauber, und sein kahler Schädel verlieh ihm etwas Einschüchterndes. Von da an
abwärts aber war er eher ein Sportler-Dad aus der Vorstadt mit legerer
Körpersprache, gelassener Stimme, einem Lederarmband unter den weißen
Manschetten seines Anzugs und einem kleinen Kinnbärtchen. Er hatte eine
beruhigende Art und vermittelte einem ein Gefühl von Sicherheit.
»Vertrauenerweckend« beschrieb ihn wohl am besten. Ich verstand nun, warum
Betsy Andreu ihn »Pater Novitzky« nannte. Er besaß eine Gemütsruhe, die man
sonst nur bei Priestern und alten Menschen antrifft. Wir unterhielten uns eine
Weile über Basketball und die Red Sox. Durch seine Autorität und sein
Selbstvertrauen erinnerte mich Novitzky ein wenig an Lance, doch mit einem
Unterschied: Lance setzte seine Macht wie eine Keule ein, während Novitzky sie
viel unauffälliger ausübte.
Als der Termin für meine Vernehmung näher rückte, wurde aus
Novitzkys entspanntem Lächeln ein sachliches Auftreten, sein
»Ermittlergesicht«. Er erklärte mir den Ablauf, dass ich vereidigt und von
einem Staatsanwalt, Doug Miller, verhört werden würde. Novitzky bereitete mich
nicht gezielt vor und beeinflusste mich auch nicht. Er sprach nicht über Lance
oder die Untersuchung. Ja, er durfte noch nicht einmal mit in den Gerichtssaal
hinein. Er sagte mir, ich solle einfach so wahrheitsgetreu wie möglich auf die
Fragen antworten. Ich holte tief Luft, und als ich durch die Tür ging, hatte
ich nur einen Gedanken: Keine Frage wird mich stoppen.
Die Befragung begann, und ich antwortete umfassend. Ich sagte nicht
nur das Nötigste, sondern ging weiter zurück und lieferte Hintergründe und
Details. Wenn sie mich dazu bringen wollten, Lance zu beschuldigen, verwies ich
immer erst auf meine eigene Schuld. Ich wollte ihnen nicht einfach nur die
harten Fakten liefern. Sie sollten nachvollziehen können, in welcher Situation
wir uns befunden, wie wir uns gefühlt hatten. Ich wollte, dass sie darüber
nachdachten, wie sie sich an unserer Stelle verhalten hätten. Ich wollte, dass
sie verstanden.
Miller bemühte sich, keine Regung zu zeigen, aber gelegentlich warf
ich einen Blick zu ihm hinüber und sah, wie sich seine Augen weiteten. Nach
vier Stunden war ich noch mitten in meiner Geschichte, aber die für die
Befragung vorgesehene Zeit war zu Ende, und die Geschworenen wurden entlassen.
Ich wollte aber weitermachen, und Miller
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