Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
wollte das auch. Ich besprach mich mit
meinen Anwälten und beschloss dann, auch über den Rest noch auszusagen, unter
der Voraussetzung, dass aufgrund meiner Aussage keine Anklage gegen mich
erhoben würde. Eine solche Vereinbarung ist bei kooperativen Zeugen durchaus
üblich. Es ist keine echte Strafimmunität, kommt der aber nahe. Dann setzte ich
meine Aussage in Anwesenheit von Novitzky und meinen Anwälten noch drei Stunden
lang in einem Konferenzraum fort, sodass ich insgesamt schließlich sieben
Stunden lang ausgesagt hatte. Am Ende bedankten sich Novitzky und Miller bei
mir. Sie bemühten sich, objektiv und geschäftsmäßig zu bleiben, aber ich sah
ihren Gesichtern an, dass sie meine Ehrlichkeit zu schätzen wussten. Sie
sagten, sie würden sich melden, und gingen dann zur Tür hinaus. Ich war völlig
ausgelaugt, leer. Aber ich fühlte mich gut.
Selbst jetzt schien Lance nie weit weg zu sein. Am Morgen nach
meiner Aussage stand ich auf der Straße vor dem Haus der Mandersons in Orange
County und brachte Chris’ Sohn das Fahrradfahren bei. Ich hielt das Fahrrad
fest und rannte damit die Straße hinunter, als ein grauer Geländewagen an uns
vorbeifuhr, dann plötzlich bremste und anhielt. Das Fenster wurde
heruntergelassen, und ich blickte überrascht in ein vertrautes Gesicht:
Stephanie McIlvain, die Oakley-Vertreterin, mit der ich während meiner Zeit bei
Postal befreundet gewesen war. Stephanie war mit in jenem Krankenhauszimmer in
Indiana gewesen, als Lance 1996 sein angebliches Geständnis abgelegt hatte.
Rein zufällig wohnte sie in der Nähe der Mandersons.
Ich war sofort misstrauisch, weil ich nicht sicher war, auf wessen
Seite Stephanie stand. Sie hatte in aller Öffentlichkeit und unter Eid
ausgesagt, sie habe nicht gehört, dass Lance in jenem Krankenhauszimmer
gestanden habe zu dopen. Im persönlichen Gespräch hatte sich das aber ganz
anders angehört. Da hatte sie zugegeben, dass sie Lance’ Geständnis tatsächlich
gehört hatte und dass er sie unter Druck setzte, damit sie den Mund hielt. [1]
Stephanie schien reden zu wollen. Sie bat mich um meine Telefonnummer,
und ich gab sie ihr. Eine Stunde später erhielt ich die erste SMS von ihr, in der sie mich bat, zu ihr zu kommen, damit
wir weiterreden konnten. Ich redete mich heraus und behauptete, ich sei
beschäftigt. Dann schickte Stephanie eine weitere SMS .
Und noch eine. Und noch eine. Dann schrieb sie mir, dass ein anderer alter
Freund, Toshi Corbett, der für den Helm-Hersteller Giro gearbeitet hatte,
gerade gekommen sei und ich ihn treffen solle.
Das machte mich noch misstrauischer. Toshi war auf Lance’ Seite.
Wollten Stephanie und Toshi, dass ich hinfuhr, damit sie Informationen sammeln
und sie an Lance weitergeben konnten?
Ich antwortete Stephanie nicht. Ich hatte ein schlechtes Gewissen,
dass ich sie ignorierte, aber ich wollte kein Risiko eingehen. Ich wollte
verhindern, dass Lance von meiner Aussage erfuhr. Am nächsten Tag fuhr ich nach
Boulder zurück, hatte aber das Gefühl, beobachtet zu werden.
Ich stand jetzt mittendrin, genau zwischen Novitzky und
Lance, dem Jäger und dem Gejagten. Ich dachte jeden Tag an beide, stellte mir
ihre Gesichter vor oder spürte ihre Anwesenheit in meinem Leben. Sie spielten
Schach, und ich war eine der Figuren.
Im November 2010 reisten Novitzky und sein Team nach Europa, um dort
zu ermitteln. Im Hauptquartier von Interpol in Lyon trafen sie sich mit
Radsportfunktionären und offiziellen Dopingkontrolleuren aus Frankreich,
Italien, Belgien und Spanien; die Funktionäre sagten ihnen Unterstützung zu. Um
den Fall abzuschließen, suchte Novitzky offensichtlich nach den Originalproben
von der 1999er Tour, die in einem französischen Labor immer noch gefroren
lagerten. Auf mich wirkte das alles surreal: Novitzky suchte das EPO , das wir 1999 benutzt hatten, dieselben Moleküle, die
auf Motomans Motorrad durch Frankreich gefahren waren, denselben EPO -Vorrat, aus dem auch ich mich bedient hatte. Jetzt
musste auch dem Letzten klar werden, dass dies keine normale Untersuchung und
dass Novitzky kein normaler Ermittler war. »Das Justizministerium würde
normalerweise nicht [so] viel Zeit und Geld einsetzen, wenn man es nicht
wirklich ernst meinen würde«, äußerte sich Matthew Rosengart, ein ehemaliger
Bundesstaatsanwalt.
Lance verstand die Botschaft. Außerdem zückte er sein Scheckbuch und
verstärkte sein Team, indem er Mark Fabiani engagierte, den »Master of
Disaster«, der US -Präsident
Weitere Kostenlose Bücher