Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
Highschool beim
unerlaubten Verkauf von Skiliftkarten erwischt wurde. Ich musste 40
Entschuldigungsbriefe schreiben und Sozialstunden leisten, lernte meine Lektion
und gelobte, von jetzt an immer brav zu bleiben – und habe auch mein Bestes
getan, mich daran zu halten. All das könnte ich Ihnen erzählen.
Mit Ehrlichkeit aber hat das nichts zu tun. Meiner Meinung nach geht
es bei dieser Entscheidung nicht um Ehre oder Charakter. Ich kenne großartige
Menschen, die gedopt haben, und ich kenne fragwürdige Charaktere, die sich
dagegen entschieden haben. Für mich kam es nur darauf an, dass ich seit 1000
Tagen zusehen musste, wie ich um meinen Lebensunterhalt gebracht wurde, und
merkte, dass sich das nicht ändern würde. Also tat ich, was viele andere vor
mir auch getan hatten. Ich schloss mich der Bruderschaft an.
Eigentlich kam die Bruderschaft sogar zu mir. Direkt nach der Tour de
Valencia besuchte mich Pedro in meinem Hotelzimmer. Peter Meinert Nielsen, mein
Zimmergenosse, war gerade beim Essen, also konnten wir uns ungestört
unterhalten. Pedro trug bei den Rennen gern eine Anglerweste mit vielen kleinen
Taschen. Er setzte sich und fragte wie immer: Wie geht es
dir, Tyler? Diese Frage konnte er wirklich meisterhaft stellen; man
spürte förmlich, wie sehr er sich um einen kümmerte. Ich sagte ihm die
Wahrheit: Ich war am Ende. Ich schaffte es kaum noch unter die Dusche. Ich war
leer, ich hatte keine Kraft mehr.
Pedro erwiderte erst gar nichts. Er sah mich nur an – oder, genauer
gesagt, in mich hinein, mit diesen sanften, traurigen Augen. Dann kramte er in
der Anglerweste herum und zog schließlich ein braunes Glasfläschchen hervor.
Langsam, wie nebenbei, hielt er es hoch, schraubte den Deckel ab und tippte
fachmännisch kurz dagegen, sodass eine einzelne Kapsel herausfiel. Eine kleine
rote Pille.
»Das hier ist kein Doping«, sagte er. »Das ist gut für deine
Gesundheit. Baut dich wieder auf.«
Ich nickte.
Er hielt die Kapsel noch immer in der Hand. Ich sah, dass sie mit
Flüssigkeit gefüllt war.
»Wenn du morgen ein Rennen hättest, würde ich es dir nicht geben.
Aber wenn du es jetzt nimmst und erst übermorgen wieder fährst, ist es in
Ordnung«, erklärte er. »Völlig unbedenklich. Es hilft dir bei der Erholung.
Dein Körper braucht es.«
Ich verstand genau, was Pedro meinte: Wenn ich am nächsten Tag zu
einem Dopingtest müsste, dann würde er positiv ausfallen. Wir wussten
allerdings beide, dass nur während der Rennen getestet wurde, und das nächste
war erst in zwei Tagen. Ich streckte die Hand aus, und er legte mir die Kapsel
hinein. Ich wartete, bis er gegangen war, ließ mir ein Glas Wasser einlaufen
und sah mich im Badezimmerspiegel an.
Das ist kein Doping. Das ist gut für deine Gesundheit.
Das Rennen, der Trofeo Luis Puig, startete zwei Tage darauf mit
einem irrsinnig schnellen Anstieg, lang, brutal und gegen Schluss immer
steiler. Ich fiel zurück, wie ich es befürchtet hatte. Aber dann geschah etwas.
Gegen Ende des Anstiegs holte ich auf einmal auf; ich überholte erst einen
Fahrer, dann drei, dann zehn. Verstehen Sie mich nicht falsch – ich war kein
Superman geworden, sondern krepierte fast vor Anstrengung und fuhr an meinem
absoluten Limit. Aber die anderen krepierten ein kleines bisschen schneller.
Als dann ein paar ausrissen, fuhr ich vorn bei den Topfahrern mit.
Ich wusste genau, was geschehen war: Die rote Pille – später erfuhr
ich, dass es Testosteron gewesen war – hatte sich im Blutkreislauf verteilt und
eine Folge heilsamer Veränderungen ausgelöst: meine Muskeln besser durchblutet,
kleine Verletzungen repariert, ein generelles Wohlgefühl erzeugt. Es war nicht
mein altes Ich, das diesen Anstieg hinaufflog, sondern ein getuntes,
verbessertes Ich. Ein ausgewogeneres Ich. Pedro hätte gesagt, ein gesünderes
Ich.
Ich bin nicht stolz auf meine Entscheidung. Ich wünschte mir von
ganzem Herzen, ich wäre stärker gewesen und hätte diese rote Pille in das
Fläschchen zurückfallen lassen; ich hätte einen weiteren Tag bei den
Nachzüglern durchlitten, auf paniagua. Ich wünschte, ich hätte mir klargemacht,
worauf ich mich da einließ, wünschte, ich hätte mich aus dem Radsport
zurückgezogen, wäre nach Colorado zurückgegangen, hätte dort meinen
College-Abschluss gemacht, vielleicht BWL studiert
und ein ganz anderes Leben geführt. Habe ich aber nicht. Ich nahm diese Pille,
und sie wirkte – ich fuhr schneller, ich fühlte mich besser. Ich fühlte mich
sogar
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