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Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Titel: Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tyler Hamilton
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Kühlschrank bunkerte, hinter den Colaflaschen. Eines
Tages, als George gerade nicht da war, konnten wir uns nicht mehr beherrschen
und öffneten es. Es enthielt Spritzen und Ampullen mit der Aufschrift EPO .
    SCOTT MERCIER : Ich habe George
einmal danach gefragt, als wir alleine in der Wohnung waren. Man sprach überall
davon, und ich wollte Bescheid wissen, also fragte ich ihn: »Muss man
eigentlich dopen, um es zu schaffen?« George zögerte lange mit der Antwort; er
ist ein ruhiger Typ, der keine Hektik mag. Er fühlte sich wohl auch ein
bisschen bloßgestellt. Aber schließlich sagte er: »Das musst du selbst
herausfinden.« Und ich wusste, was er meinte.
    Ich war gerade dabei, es selbst herauszufinden. Im März
teilte ich mir bei der Katalonien-Rundfahrt ein Zimmer mit Adriano Baffi.
Damals war das eine Riesensache für mich, denn Baffi war eine große Nummer, ein
Veteran, einer von Weisels angeheuerten Söldnern; er hatte fünf Etappen des
Giro d’Italia gewonnen, was ihn in unserem Team zu einer Legende machte. Als
ich in unser Hotelzimmer kam, hörte ich als Erstes ein hohes Summen – das
Geräusch der Zentrifuge. Ich sah, wie Baffi, ein gut aussehender, lässiger Typ,
sich an einem kleinen Apparat zu schaffen machte, der genau wie der von Pedro
aussah, nur kleiner und eleganter. Baffi machte überhaupt kein Geheimnis
daraus, sondern handhabte das Gerät ganz selbstverständlich und präzise, als
machte er sich einen Espresso. Er sah sich die Skala des Teströhrchens an und
lächelte. »Achtundvierzig!«, sagte er.
    In solchen Situationen tat ich immer so, als wüsste ich, wovon sie
alle sprachen. Ich weiß, dass es heute komisch klingt – vielleicht hätte
ich ehrlicher sein und fragen sollen, Adriano, wieso testest
du selbst deinen Hämatokritwert – macht das nicht der Teamarzt? Aber ich
wollte cool sein und dazugehören.
    Bei anderen Rennen hörte ich die A-Team-Fahrer über ihren
Hämatokritwert sprechen; sie verglichen die Zahlen miteinander, mit vielen Ohs
und Ahs und Witzeleien. Sie sprachen die ganze Zeit darüber, genauso oft wie
über das Wetter oder die Straßenverhältnisse. Die Werte klangen ungeheuer
bedeutungsvoll: Ich bin 43 – keine Angst, ich werde heute
nicht gewinnen. Aber du sollst ja 49 sein – pass also auf! Ich lächelte
dann und nickte; schnell hatte ich gemerkt, wie wichtig der Hämatokritwert war.
Er war nicht irgendeine, sondern die Zahl, die zwischen der Chance auf Sieg und schäbigem Ankommen im Feld
entscheiden konnte. Für mich waren das nicht gerade gute Nachrichten, denn mein
eigener Wert lag gewöhnlich bei deprimierenden 42. Je mehr ich trainierte, je
härter ich fuhr, desto tiefer fiel er.
    Doch ich unternahm noch immer nichts. Pedro gab mir hin und wieder
Testosteron bei den Rennen, aber das war alles. Mir wäre nicht im Traum
eingefallen, Baffi oder einen anderen Teamkameraden um EPO zu bitten. Ich hatte das Gefühl, so etwas stand mir nicht zu; ich musste es mir
erst verdienen. Ich tat also, was ich am besten konnte: Ich senkte den Kopf,
biss die Zähne zusammen und fuhr, immer an der Grenze und stets im Bemühen, sie
ein bisschen weiter von mir wegzudrücken. Vielleicht hätte ich noch etwas
länger ignorieren können, was sich um mich herum abspielte, wäre da nicht Marty
Jemison gewesen.
    Ich kannte Marty gut und betrachtete ihn als Freund. Er war ein
bisschen älter, hatte schon einige Zeit in Europa gelebt und war für ein
niederländisches Team gefahren, bevor er 1995 zu Weisels Montgomery-Mannschaft
gestoßen war. Marty redete nicht viel über seine Erfahrungen in Europa, aber
ich hatte das Gefühl, dass er es damals als einziger Amerikaner nicht eben
leicht gehabt hatte. Marty war ein netter Kerl; manchmal ein bisschen reizbar,
aber im Ganzen freundlich und offen (er hat inzwischen ein erfolgreiches
Unternehmen für Radtouren aufgezogen). Das Wichtigste aber, was ich über Marty
wusste, war, dass ich ihn in aller Regel abhängen konnte. Im Lauf der Jahre
sind wir oft gegeneinander angetreten, und in etwa 80 Prozent der Fälle hatte
ich gewonnen, besonders beim Zeitfahren, das ja als idealer Gradmesser der
Kondition gilt. Keine Frage: In Sachen Form unterschieden wir uns so deutlich
wie bei der Körpergröße.
    Im Frühjahr 1997 aber kehrte das Verhältnis sich auf einmal um. Im
Training und bei den ersten Frühjahrsrennen fuhr Marty plötzlich besser als
ich, und das machte mich stutzig. Tat er was für seinen Erfolg? Musste ich
vielleicht auch etwas

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