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Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Titel: Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tyler Hamilton
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blitzblankes, nagelneues Modell europäischer Herkunft.
Als ich mich umsah, fühlte ich zweierlei. Erstens freute ich mich: Mit solchen
Jungs im Team hatten wir eine echte Chance, uns für die Tour de France zu
qualifizieren. Gleichzeitig war ich aber auch nervös: Konnte ich mit Fahrern
dieses Kalibers mithalten? Hatte ich wenigstens das Zeug zu einem guten
Wasserträger – einem Helfer oder Domestiken? Könnte ich überhaupt mit in die
Tourauswahl kommen, falls wir es so weit schafften?
    Weisel schenkte Rotwein ein und erhob sein Glas. Wir lauschten still
seiner gegrummelten, knappen Ansprache vom Typ Wir haben ein
großes Ziel, reißt euch verdammt noch mal zusammen! Im Fernsehen lief
gerade ein Footballspiel, und Weisel zog den Vergleich: Die Tour de France war
unser Super-Bowl, und wir würden dort mitspielen, was immer es auch koste.
    Weisel und Weltz erklärten uns das Programm: Das Training würde
härter, straffer organisiert und zielgerichteter werden. Ich würde zusammen mit
vier anderen Amerikanern – Scott Mercier, Darren Baker, Marty Jamison und
George Hincapie – nach Girona ziehen. Unser Wettkampfprogramm würde deutlich
anspruchsvoller werden: Wir würden den prestigeträchtigen Klassiker
Lüttich-Bastogne-Lüttich anpeilen, abermals die Tour de Suisse, und dann, wenn
wir gut genug waren, im Juli zu unserer ersten Tour de France starten. Weisels
Ziel war klar: Wir würden beweisen, dass Postal auch in Europa mithalten
konnte, dass wir dazugehörten. Wir würden nicht mehr nur bescheiden an die Tür
klopfen, sondern sie eintreten.
    Irgendwann im Laufe der Feier bemerkte ich einen Teller mit
Schokoladenkeksen. Wie jeder Fahrer achtete ich stets auf mein Gewicht, aber
wir hatten ein hartes Training hinter uns, und die Kekse sahen extrem lecker
aus – knusprig am Rand, in der Mitte nicht ganz durchgebacken, genau wie ich
sie mag. Ich konnte nicht widerstehen. Ich nahm mir einen, kaute ihn langsam – besser kann so ein Keks nicht sein. Ich nahm mir noch einen. Während ich so
kaute, bekam ich das seltsame Gefühl, als beobachte mich jemand. Ich schaute
auf und sah, dass der neue Teamarzt Pedro Celaya mich von der anderen Seite des
Zimmers aus genau fixierte, mit geradezu professionellem Interesse, als mäße er
mir Fieber. Er lächelte mich an und drohte mir augenzwinkernd, aber
nachdrücklich mit dem Finger: aber nicht doch! Ich lächelte zurück und tat so,
als wollte ich den Keks unter meinem Hemd verstecken. Er lachte.
    Ich mochte Pedro sofort. Anders als Steffen, der mir immer unnahbar
und leicht reizbar erschienen war, benahm er sich wie ein netter Onkel. Er
schaute einem in die Augen, fragte, wie es einem ging, und erinnerte sich an
persönliche Kleinigkeiten. Er war eine schlanke, elegante Erscheinung mit
widerspenstigem, ergrauendem Haarschopf und einem jungenhaften Grinsen. Für ihn
war das Leben eine große Show: Er war stets offen für einen Spaß. Sein Englisch
war vielleicht nicht so toll, und doch konnte man sich ausgezeichnet mit ihm
unterhalten. Er schien immer schon zu spüren, wie ich mich fühlte, bevor es mir
selbst klar war.
    Bei einem unserer ersten Gespräche ging es um mein Blut. Pedro
erklärte, der sogenannte Hämatokritwert bezeichne den Prozentanteil der festen
Stoffe im Blut, also in der Hauptsache die Menge der roten Blutkörperchen. Er
sagte, eine neue UCI -Regel sehe für jeden Fahrer,
dessen Hämatokritwert 50 Prozent übersteige – ein wahrscheinliches
Anzeichen für EPO -Missbrauch –, eine 15-tägige
Sperre vor. Weil es noch keinen Test für EPO gab,
galt die Überschreitung des 50-Prozent-Werts nicht als Doping; UCI -Präsident Hein Verbruggen sprach stattdessen von
einem »Gesundheitsthema« und nannte die Sperre »Hämatokritferien«. [2]
    Pedro bat mich also um eine kleine Blutprobe, um meinen
Hämatokritwert zu ermitteln. Er nahm die Probe, füllte das Blut in einige dünne
Glasröhrchen und hängte sie in eine Zentrifuge von der Größe eines Toasters.
Ich hörte ein Summen, dann zog Pedro die Glasröhrchen heraus und las die Skala
an der Seite ab.
    »Gar nicht schlecht«, meinte er. »Du bist 43.«
    Ich weiß noch, dass mir seine Wortwahl auffiel: Er sagte nicht »Du
hast 43« oder »Dein Spiegel liegt bei 43«, sondern »Du bist 43 «. Als wäre ich eine Aktie und 43 mein Kurs.
    Später fand ich heraus, dass dieser Eindruck nur allzu richtig war.
    Aber, ehrlich gesagt, war mir das damals ziemlich egal. Die
unmittelbare Zukunft beschäftigte mich: die

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