Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
richtig gut, und zwar nicht nur körperlich. Die rote Pille war eine
Auszeichnung, ein Signal, dass Pedro und das Team mein Potenzial erkannt
hatten. Ich dachte, es sei der erste kleine Schritt ins A-Team.
Ich gewann das Rennen zwar nicht, schnitt aber ziemlich gut ab.
Danach klopfte mir unser Direktor Johnny Weltz auf die Schulter, aber dann sah
ich wieder zu, wie die weißen Beutel verteilt wurden. Ich sah, wie die
Mitglieder der A -Teams ihre weißen Beutel
einpackten, und meine Begeisterung verflog.
Offensichtlich lag noch viel Arbeit vor mir.
Nach der Tour de Valencia ging es dann nach Girona, einer
mittelalterlichen Stadt mit 100 000 Einwohnern und einer wuchtigen Stadtmauer.
Sie liegt am Fuß der Pyrenäen und sollte die nächsten sieben Monate mein
Zuhause sein. Ich holte Haven am Flughafen Barcelona ab, und wir fuhren nach
Norden, gespannt auf diese Stadt, die Teamleiter Johnny Weltz als einmalig und
sehenswert beschrieben hatte. Wir fuhren hinter ihm her, als er von Barcelona
aus nach Norden düste. Allerdings raste er wie ein Verrückter mit 160 Sachen
durch den Nebel. Ich tat mein Bestes, um nicht abgehängt zu werden, und fuhr
ein Überholmanöver nach dem anderen, fast wie ein Formel-Eins-Pilot. (Haven
nahm diese Fahrt später als Metapher für unsere ganze Zeit in Europa: eine
irrsinnige Verfolgungsjagd durch Nacht und Nebel.)
Die Stadt war wirklich so schön, wie Johnny sie beschrieben hatte,
doch für unsere Wohnung galt das leider nicht: eine Ansammlung verdreckter,
wohnheimartiger Kabuffs in einer verfallenden Mietskaserne. Vier von uns
sollten hier wohnen – George Hincapie, Scott Mercier, Darren Baker und ich;
Marty Jemison lebte mit seiner Frau Jill ein Stück weiter weg. Wir zogen
Strohhalme, um die Räume auszulosen; Scott, der größte von uns, erwischte
natürlich das kleinste Zimmer (vom Bett aus konnte er mit Händen und Füßen fast
die gegenüberliegenden Wände erreichen). Als Erstes mussten wir sauber machen;
Haven trieb uns zu einer Grundreinigung an, die den ganzen Vormittag dauerte.
Danach sah die Wohnung schon weniger nach Abbruchhaus aus – mehr nach einem
College-Wohnheim. In Anspielung auf die alte Sitcom Jeffersons tauften wir sie unser Dee-Luxe Apartment in the Sky .
Uns selbst nannten wir die »Eurodogs«.
Wäre unser Leben tatsächlich eine Seifenoper gewesen, hätte Scott
Mercier die Rolle des Smarten gespielt: Er war 29, groß gewachsen, hatte das
College abgeschlossen und machte mit und ohne Fahrrad eine ausgesprochen
elegante Figur.
Darren Baker wäre der Draufgänger gewesen; groß, stark und zäh wie
Leder; er war nach einer Verletzung beim Laufen zum Radsport gekommen und hatte
sich als Naturtalent erwiesen (1992 hatte er bei einem wichtigen Rennen sogar
Lance geschlagen). Darren war Realist bis auf die Knochen, ein Typ, der sich
nichts vormachen ließ und anderen stets die Wahrheit sagte, auch wenn sie
unbequem war.
George Hincapie war der Stille: Ein Dreiundzwanzigjähriger, der in
den letzten Jahren jede Menge hochkarätiger Rennen in Europa absolviert hatte
und als aufgehender Stern galt. Seine Spezialität waren die extrem harten
Eintagesrennen in Nordeuropa, die sogenannten Klassiker. George redete nicht
viel, aber auf seinem Fahrrad verstanden ihn alle; er kombinierte den runden
Tritt mit einer unermüdlichen, sturen Bereitschaft zu leiden, wie sie die
belgischen Fahrer haben. Georges Schweigen wurde oft als Schwerfälligkeit
missverstanden; doch mit der Zeit merkte ich, dass er im Gegenteil viel
aufmerksamer und klüger war, als es den Anschein hatte.
Damit blieb für mich die Rolle des Tollpatschs; ich war der kleine
Welpe, der in seiner Unbeholfenheit noch am meisten über den Radsport zu lernen
hatte. Die ersten Tage standen ohnehin im Zeichen der Ratlosigkeit. Wir wussten
weder, wo wir trainieren oder die Fahrräder warten lassen konnten, noch, wo man
Lebensmittel kaufte, wie man sich Videos auslieh oder die Geldautomaten
benutzte. Zum Glück sprach George Spanisch und lotste uns geduldig durch die
anfänglichen Schwierigkeiten. In den ersten Wochen riefen wir bei sprachlichen
Verwirrungen immer: »George!« Mit der Zeit wurde das zum Running Gag unserer
Sitcom. Und George mit seiner Geduld und Freundlichkeit schaffte es stets, die
Situation für uns zu klären.
Wir wurden schnell Freunde und fanden heraus, dass keine
Freundschaft mit der von Fahrern in einem Radsportteam mithalten kann. Der
Grund liegt in dem einem Wort: geben. Man gibt
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