Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
Mannschaftskapitäns
übernehmen. Das war eine riesige Chance und eine große Verantwortung. Ich
steckte mir ein paar Ampullen Edgar ins Gepäck. In Marblehead trainierte ich,
als führe Lance neben mir. Ich aß, als beobachtete mich Ferrari. Ich spritzte
ausreichend Edgar (da ich keine Zentrifuge hatte, arbeitete ich nach Gefühl).
Ich traf mich mit meiner Mutter, meinem Vater, meinem Bruder und meiner
Schwester, wenn auch nicht so oft, wie ich es gerne getan hätte. Ich
konzentrierte mich auf mein Training. Ich war auf die Tour de Suisse fokussiert
wie ein Laserstrahl, und ich war entschlossen, mich von der Verletzung nicht
zurückwerfen zu lassen.
Als ich im Mai nach Europa zurückkehrte, war ich gut in Form. Sogar
in Topform. Ich fuhr direkt zu Ferraris Haus in Ferrara. Er nahm seine üblichen
Messungen vor – Körperfett, Hämatokrit, Gewicht – und lächelte. Dann führten
wir am Aufstieg zum Monzuno einen Fitnesstest durch, eine von Ferraris
Lieblingsstrecken. Es war ein vier Kilometer langer Anstieg, der bei neun
Prozent Steigung fast 400 Höhenmeter überwand und durch Äcker und Olivenhaine
führte. Viele große Fahrer hatten sich dort schon erprobt, und Lance hielt den
Rekord am Monzuno. Zumindest bis zu jenem Tag. Als ich oben ankam, lächelte
Ferrari, wie ich ihn nie zuvor hatte lächeln sehen. Ich hatte Lance’ Rekord
gebrochen, um nicht zu sagen, pulverisiert.
Ein tolles Gefühl.
Dieses Gefühl verstärkte sich noch, als Ferrari mir die Zahlen
nannte. Meine Leistung beim Test lag bei 6,8 Watt pro Kilogramm – höher als
jemals zuvor. Damit lag ich über Ferraris magischer Schwelle von 6,7 für
Tour-Gewinner. Das hieß nun nicht gleich, dass ich die Tour gewinnen konnte (es
war nur ein kurzer Test), aber es war ein gutes Zeichen. Ich war in der
Bestform meines Lebens.
Tests am Monzuno oder am Col de la Madone waren eine große Sache in
unserer kleinen Welt, sie bedeuteten so viel wie Rennergebnisse, vielleicht
sogar mehr. Manche Fahrer prahlten gern mit ihren Testbergfahrten, aber ich
erzählte nur Haven davon und sonst niemandem. Leider war Ferrari nicht ganz so
diskret. Als ich Lance wenige Tage später im Trainingscamp des Teams begrüßte,
warf er mir einen eigenartigen Blick zu.
»Monzuno also? Damit bist du jetzt wohl der große Mann, oder,
Tyler?«
Am nächsten Morgen wurde es noch schlimmer. Man nahm uns Blut ab und
steckte es in die Zentrifuge, um den Hämatokritwert zu bestimmen. Meiner lag
bei 49,7. Normalerweise kennen diesen Wert nur der Fahrer und der Arzt. Aber
nicht in diesem Fall.
»Da kommt ja unser Mister beschissene Neunundvierzig-Komma-Sieben«,
sagte Lance. »Das heißt dann wohl, dass du heute den ganzen Tag im Wind
fährst.«
Das bedeutete, ich würde nur an der Spitze der Gruppe fahren, der
härtesten Position, um mich auszupowern und meinen Hämatokritwert zu senken.
An dem Abend belehrte mich Johan, ich solle vorsichtig sein, und
nicht so dicht an die 50 rangehen. Es wurde zum Motto des Camps. Sogar Lance’
Frau Kristin machte eine beiläufige Bemerkung darüber: »Ich habe gehört, du
hast da eine große Nummer, Tyler.«
Ich war sprachlos. Ich hatte mich an die Regeln gehalten. Ja, mein
Hämatokritwert war ein bisschen hoch, aber auch nicht höher, als Lance’ Werte
oft waren. Und jetzt musste ich mich von Johan anmachen lassen und von Kristin?
Mein Monzuno-Test war kein zufälliger Glückstreffer gewesen – er war das
Ergebnis harter, professioneller Arbeit. Ich hatte den Erfolg verdient. Und ich
verhielt mich auch nicht leichtfertig. Wäre ein Tester aufgetaucht, wäre der
Test negativ ausgefallen, ich war keine tickende Zeitbombe. Aber tief in meinem
Inneren wusste ich, dass es gar nicht wirklich um den Hämatokritwert oder den
Rekord ging. Lance fühlte sich ganz einfach bedroht.
Dass ich Lance’ Rekord am Monzuno gebrochen hatte war – nicht normal.
Lance sagte das mit völliger Überzeugung, aber dabei ignorierte er
den zentralen Punkt überhaupt: Lance’ eigene Leistungen bei der Tour waren nie normal. Es ist nicht normal, dass man den Leuten
einfach so davonfährt und es nicht einmal merkt, wie er es vor Sestriere
während der Tour 1999 getan hatte. Es war nicht normal, wie er Pantani bei der
Tour 2000 am Ventoux deklassiert hatte. In unserer Welt war gar nichts normal.
Aber in Lance’ Vorstellung bedeutete »normal«, dass er gewann.
Tony Rominger, ein Topprofi und ebenfalls Kunde von Ferrari, sprach
einmal über die schwierigen
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