Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
Hämatokritwerte oben zu halten, keine Chance. Aber
Lance hielt es für möglich. Darum hatte ihn das Zitat in den VeloNews so auf die Palme gebracht. Es war dieselbe alte
Regel: Was immer du machst, die beschissenen anderen machen
mehr. Und ich gehörte jetzt offiziell zu den »beschissenen anderen«.
Bei Lance folgen alle Freundschaften demselben Muster: Er freundet
sich mit jemandem an, und dann – klick – passiert irgendwas, es kommt zu einem
Konflikt, und die Freundschaft ist beendet. Das passierte mit Kevin und
Frankie, Vaughters, Vande Velde und all den anderen. Dass es mir auch
passierte, war keine Überraschung. Es war letztendlich unvermeidlich.
Ich erinnere mich, wie Lance einem neuen Postal-Fahrer einen Rat
gab, wie er die Tour fahren sollte. Er sagte: »Denk immer daran, diese Typen
sind eiskalte Killer.«
Eiskalte Killer. So sah Lance die Welt. Er
war davon überzeugt, dass alle um ihn herum absolut skrupellos waren. Und seine
Denkweise funktionierte ja. Sie brachte Erfolge. Lance dachte nicht lange
darüber nach oder zögerte auch nur, bevor er Kevin und Frankie aus dem
Postal-Team warf. Er tat es einfach. Auch bei mir dachte er nicht lange nach,
bevor er mich hinausdrängte, nicht eine Sekunde. Er würde alles tun, um zu
gewinnen.
Ich war nicht sein einziges Problem. Am ersten Tag der Tour schrieb
David Walsh von der Sunday Times in London einen
Artikel, in dem er eine Verbindung zwischen Armstrong und Ferrari herstellte.
Walsh hatte seine Hausaufgaben gemacht: Er hatte Hotelrechnungen,
Besuchstermine und Aussagen von anonymen Ex-Motorola-Teammitgliedern, die über
Lance’ Rolle bei der Entscheidung des Teams sprachen, im Jahr 1995 zu dopen.
Und in Kürze würde Ferrari in Italien wegen Dopingvorwürfen vor Gericht stehen.
Lance ging ziemlich gut damit um: Zuerst entschärfte er die
Ferrari-Bombe von Walsh, indem er einer italienischen Zeitschrift ein Interview
gab. Darin erzählte er, er habe mit Ferrari zusammengearbeitet, als er versucht
habe, auf der überdachten Bahn eines Velodroms den Stundenweltrekord zu
verbessern. (Als ich das mit dem Rest des Postal-Teams las, mussten wir alle
laut lachen. Lance hatte den Stundenweltrekord uns gegenüber nie erwähnt und
ist, soviel ich weiß, auch noch nie in einem Velodrom gefahren.) Chris
Carmichael versicherte der ganzen Welt, er sei Lance’ einziger echter Trainer,
und die anderen Fahrer unterstützten ihn öffentlich. Die ganze Sache war
perfekt gedeichselt. [6]
Der Rest der Tour verlief ohne Zwischenfälle. Die Kontroverse trat
langsam in den Hintergrund, und Lance dominierte Ullrich, seinen einzigen
echten Konkurrenten. Lance gewann in Alpe d’Huez und kachelte die 21 Kehren in
sensationellen 38 : 01 Minuten hinauf – ganze zehn Minuten schneller als Greg
LeMond und Bernard Hinault bei der Tour 1986. Das Bergzeitfahren bei Chamrousse
gewann Lance ähnlich überlegen. Heras und Rubiera machten einen großartigen
Job, und der Rest des Teams brachte gute Leistung. Mit einer Ausnahme: mir. Ich
fuhr auf paniagua, und das machte mich vom Sieg-Aspiranten zum Niemand. Nach
dem Prolog lag ich auf Platz 45. Auf der ersten Bergetappe kam ich 40 Minuten
nach Lance ins Ziel. Am Ende landete ich auf Platz 94, zweieinhalb Stunden
hinter Lance, mein mit Abstand schlechtestes Tourergebnis. Ich hatte als die
nächste große Hoffnung gegolten, und jetzt schaffte ich es gerade so, in Paris
anzukommen. In der Presse hieß es, ich sei »gesundheitlich angeschlagen«, ich
habe eine Mageninfektion. Ich spielte mit. Was hätte ich auch anderes tun
können?
Ich war ganz offensichtlich nicht in der Lage, Leistung zu bringen,
aber das war Lance und Johan ziemlich egal. Bei einer der ersten Touretappen
sollte ich die Ausreißer übernehmen, das heißt, ich sollte ganz vorne im Rennen
und bei den frühen Ausreißversuchen mitfahren, damit Lance ein Teammitglied an
der Spitze hatte. Bei der Tour nach vorne zu fahren ist kein Spaziergang, weil
alle wie die Teufel fahren und man sich an den anderen 188 Fahrern
vorbeikämpfen muss, die auch vorne sein wollen.
Es war noch am Anfang der Etappe, wir fuhren wie die Irren, und
Johan schrie mich über Funk an, ich solle nach vorn fahren, nach vorn – und ich
gab alles. Aber erschöpft wie ich war, schaffte ich es nicht weiter nach vorn.
Dann fühlte ich, wie jemand den Kragen meines Trikots packte und mich heftig
nach hinten zog. Lance schrie, so laut er konnte, in mein Ohr.
»Was zum TEUFEL machst du da,
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