Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
ich zum Test.
Eine andere Möglichkeit, sich zu tarnen, waren die Medizinischen
Ausnahmegenehmigungen ( TUE , therapeutic use
exemptions), die vor allem für Kortison benutzt wurden. Der Weltradsportverband
( UCI ) erlaubt Fahrern den Einsatz bestimmter
Substanzen, wenn sie von einem Arzt verschrieben wurden. Also erfanden die
Teamärzte irgendeine medizinische Begründung – Schmerzen im Knie, wund
geriebene Stellen – und stellten ein Attest aus, das einem die Einnahme von
Kortison oder eines ähnlichen Wirkstoffs erlaubte. Man musste sich dabei nur
merken, welches Leiden der Doktor einem verpasst hatte: War die Verletzung nun
am rechten oder am linken Knie? Manchmal sah ich mir vor einem Rennen die
Unterlagen noch einmal an, damit ich auch über das richtige Knie klagte, falls
ein Tester zufällig danach fragte.
Am besten war es jedoch, wenn man einfach die Risikozeiten auf ein
Minimum reduzierte. Denn die beste Vorschrift bei den Dopingtests, die einem
die meisten Freiheiten erlaubte, besagte, dass die Tester nur zwischen 7 Uhr
morgens und 10 Uhr abends auftauchen durften. [1] Das hieß, dass man nehmen konnte, was
man wollte, solange es nach höchstens neun Stunden wieder aus dem Körper heraus
war. Daher haben Radprofis um 10.01 Uhr abends meist auch besonders viel zu
tun. In Spanien hatte man sogar doppelt Glück, weil durch den anderen
Tagesrhythmus der Spanier (Abendessen gibt es oft erst nach 10.30 Uhr abends)
die Tester fast nie um 7 Uhr morgens auftauchten, sondern erst gegen Mittag
oder noch später. (Ein Tester, ein rücksichtsvoller älterer Gentleman, der eine
Stunde von Barcelona entfernt lebte, rief am Abend vorher an, um sicherzugehen,
dass wir auch in der Stadt waren und er nicht umsonst hinfuhr.) Aber am besten
war es, wenn ein gewiefter Arzt sich neue Möglichkeiten ausdachte, wie die
Mittel verabreicht werden konnten, sodass sie den Körper schneller wieder
verließen und trotzdem den gewünschten Effekt hatten. Wir hatten den
gewieftesten von allen: Ferrari.
Ein gutes Beispiel dafür, welch großen Vorteil uns Ferrari
verschaffte, war der EPO -Test. Die Entwicklung
eines Testes, mit dem sich EPO in Urin und Blut
nachweisen ließ, dauerte mehrere Jahre und kostete die Testagenturen mehrere
Millionen Dollar. Nach nur fünf Minuten aber hatte Ferrari eine Möglichkeit
gefunden, wie sich der Test austricksen ließ. Seine Lösung war überraschend
simpel: Statt EPO subkutan zu spritzen (wodurch es
über einen längeren Zeitraum ins Blut abgegeben wurde), injizierten wir
kleinere Dosen direkt in die Venen, direkt in die Blutbahn, wo es immer noch
die Produktion von roten Blutkörperchen steigerte, aber den Körper schnell
genug wieder verließ, sodass es nicht nachgewiesen werden konnte. Wir bekamen
einen neuen Behandlungsplan: Statt 2000 Einheiten Edgar jede dritte oder vierte
Nacht spritzten wir nun jede Nacht 400 oder 500 Einheiten. Die Nachweiszeit war
minimiert, das Problem gelöst. Wir nannten es »Mikrodosierung«. [2]
Das Problem dabei, wenn man sich Edgar intravenös spritzt, ist
natürlich, dass man es eben in die Vene spritzen
muss. Trifft man daneben und spritzt in das umgebende Gewebe, bleibt Edgar sehr
viel länger im Körper, und man kann positiv getestet werden. Für die
Mikrodosierung braucht man also eine ruhige Hand, ein gutes Gespür und viel
Übung. Man muss spüren, wie die Nadelspitze die Venenwand durchbricht, und dann
ein bisschen Blut in die Spritze zurückziehen, damit man weiß, ob man richtig
getroffen hat. Lance hatte in dieser Hinsicht Glück, wie so oft: Seine Venen
waren dick wie Wasserrohre. Meine waren klein, was mir mehrfach Kopfschmerzen
bereitete. Wenn man die Vene verfehlt, bildet das EPO eine sichtbare kleine Blase unter der Haut. Ich habe öfter gesehen, wie sie
anfing sich zu bilden, konnte es aber glücklicherweise noch rechtzeitig stoppen
und wurde am folgenden Tag nicht getestet. Ein paar Millimeter daneben können
da das Ende einer Karriere bedeuten. Manchmal, wenn Fahrer überraschend positiv
getestet werden, frage ich mich, ob es vielleicht daran lag.
Natürlich konnte man nicht nur EPO mikrodosieren. Mit Testosteron funktionierte das auch. Um das Jahr 2001 kamen
wir von den roten Pillen ab und benutzten stattdessen Testosteron-Pflaster, die
viel praktischer waren. Sie waren wie große Wundpflaster mit einem
durchsichtigen Gel in der Mitte. Man konnte sie zwei Stunden lang tragen, sich
einen Testosteronschub holen und war morgens
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