Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
war eigenartig. Lance war die Sache nicht peinlich, er war nicht
erschrocken, und er machte sich keinerlei Sorgen. Es war, als wolle er mir
zeigen, wie wenig ihm das ausmachte, wie gut er alles unter Kontrolle hatte.
Fragen überschlugen sich in meinem Kopf: Was zur Hölle war geschehen? Gab es
einen neuen EPO -Test? Mit wem würde er sich
zusammensetzen? Aber sein Gesichtsausdruck sagte mir, ich solle besser nicht
nachfragen. Nach dieser kurzen Unterhaltung erwähnte Lance das Thema mir
gegenüber nie wieder. [5]
Ich erinnere mich, dass Lance irgendwann nach diesem Vorfall vom
Mannschaftsbus aus mit Hein Verbruggen telefonierte. Ich weiß nicht mehr,
worüber sie sprachen, aber mir fiel der vertrauliche Ton der Unterhaltung auf.
Lance sprach mit dem Präsidenten der UCI , dem
höchsten Funktionär unseres Sports. Aber er hätte genauso gut mit einem
Geschäftspartner reden können, einem Freund.
Nach dem Ende der Tour de Suisse 2001 wurde klar, dass ich
nicht mehr zu Lance’ innerem Kreis gehörte. Wahrscheinlich war es schon seit
Lance’ ungehaltener Reaktion auf meinen Monzuno-Test so, aber jetzt wurde es
deutlich. Lance verhielt sich noch distanzierter als sonst. Wir trainierten
immer seltener zusammen. Ich wurde nicht mehr, wie noch im Jahr zuvor, zu einer
Transfusion vor der Tour de France aufgefordert. Jetzt würden Chechu und
Roberto Lance die Berge hinaufziehen. Und falls ich noch irgendwelche Zweifel
gehabt hätte, räumten Lance und Johan sie gründlich aus, als sie mich kurz vor
dem Start der Tour wegen etwas in die Mangel nahmen, das ich in VeloNews gesagt hatte.
Es geschah an dem Morgen, an dem wir in Lance’ Privatjet zur Tour
fliegen sollten. Ich war zu Hause und packte meine Koffer, als Johan anrief.
Seine Stimme klang tief und besorgt. Er sagte, er und Lance hätten gerade ein
Interview gelesen, das ich VeloNews für ihre Ausgabe
mit der Tour-Vorschau gegeben hatte. Und jetzt hätten wir ein Problem. Ein
großes Problem.
»Sie zitieren dich, Tyler«, sagte Johan. »Du musst doch aufpassen,
was du sagst.«
Wie bitte?
»Du musst dich bei Lance entschuldigen. Er hat es gelesen und sich
ganz furchtbar aufgeregt.«
Ich war verwirrt. Ich hatte in dem Artikel doch überhaupt nichts
großartig Kontroverses gesagt. Zum Beweis ist hier das Zitat:
»Statt einfach im Schongang nach Alpe d’Huez hinaufzufahren – was
natürlich viel länger dauert, für mich aber bequemer wäre –, tue ich erst
meinen Job (und mache Tempo für Armstrong) und lasse mich dann so wenig wie
möglich zurückfallen. Es könnte ja darauf ankommen, im Gesamtklassement nicht
zu viel Zeit zu verlieren. Wenn ich dann später in den Pyrenäen bei einem
Ausreißversuch mitfahre, nimmt das den Druck von unserem Team. Telekom muss
dann vielleicht eine Aufholjagd starten und vier oder fünf Fahrer nach vorn schicken,
um die Ausreißer wieder einzufangen, nur weil ich da mitfahre.«
Das ist eine übliche Strategie beim Radrennen: Wie im Artikel
erwähnt, wird es durch eine zweite Spitze im Team einfacher für Lance. Dieselbe
Strategie kam doch schon bei der Tour 1986 zur Anwendung. Ich erzählte davon,
weil ich mir sicher war, Lance würde verstehen, dass ich ein loyales Mitglied
der Mannschaft war, sein Unterstützer und Freund. Und dass ich mich keineswegs
als sein Rivale um die Führungsposition bei Postal betrachtete.
Leider bewies mir der Klang von Johans Stimme, dass ich damit falsch
gelegen hatte.
»Du musst Lance sofort anrufen«, sagte er. »Entschuldige dich bei
ihm. Mach es wieder gut.«
Ich rief Lance an und entschuldigte mich vielmals. Ich sagte, man
habe mich falsch zitiert, dass ich auf keinen Fall eigene Ambitionen hätte,
dass ich ihn ohne Frage mit 100 Prozent meiner Kraft unterstützte. Lance hörte
mir zu und schien meine Entschuldigung zu akzeptieren, wenn auch leicht
widerwillig.
In den Medien wurde die Tour 2001 vor allem durch den Blick bekannt, jenen herausfordernden Schulterblick,
den Lance Jan Ullrich am Fuß von Alpe d’Huez zuwarf, bevor er davonfuhr, um die
Etappe zu gewinnen und sich seinen dritten Gesamtsieg bei der Tour zu sichern.
Auf mir ruhte der Blick das ganze Rennen lang. Lance
beobachtete mich. Er wartete auf Anzeichen dafür, dass ich ihn verriet.
Das war ein schlechter Witz, denn bei dieser Tour war ich absolut
keine Gefahr für Lance. Ich fuhr auf paniagua. Ich hatte nirgends eine
Blutkonserve versteckt. Kein Motoman belieferte mich mit Edgar. Ich hatte
keinen Plan B, um meine
Weitere Kostenlose Bücher