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Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Titel: Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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ziemlich düster war, in dem man aber dennoch etwas erkennen konnte. Die Spirale verlief gegen die Rotationsachse und bog nach links ab. Hethor konnte sehen, wo sie um die Ecke verschwand.
    »Es ist soweit«, sagte er und verkniff es sich, eine weitere Rede zu halten.
    Einer der jungen Männer stand auf, kam zu Hethor und berührte seine Hand. »Viel Glück, Bote«, sagte er. »Möge deine Seele am behaglichsten aller Orte ruhen.«
    »Und auch deine«, antwortete Hethor.
    Der nächste junge Mann hatte eine noch schlichtere Botschaft: »Glück.«
    Tiktiktee umarmte Hethor, der die starken Arme des jungen Mannes um seine Hüfte spürte. »Unsere Welt ist deine, Bote.«
    Einer nach dem anderen traten die acht überlebenden Stammesangehörigen Arellyas zu Hethor vor. Jeder sagte ein paar Worte. Jeder ließ sich Zeit für eine Berührung. Jeder ging zur Blumenwiese, ohne zurückzublicken.
    Nach wenigen Minuten waren nur noch Hethor und Arellya übrig. Sie hielt einen der letzten Speere des vergessenen Volkes in der Hand.
    »Du kannst nicht mitkommen«, sagte Hethor.
    »Du kannst mich nicht daran hindern.«
    »Tu es nicht. Bitte.«
    Sie lächelte. »Ich werde nicht hier bleiben und erfrieren«, sagte sie dann, »ohne zu wissen, was am Ende mit dir geschehen ist.«
    Hethor wollte nicht von ihr getrennt sein, nicht für eine Minute, aber er konnte sie nicht mit unter die Erde nehmen. Das wäre so, als würde er sie einladen, in die Hölle zu spazieren. »Die Männer deines Stammes werden dich beschützen.«
    »Vor den Stürmen? Nein.« Sie ließ seine Hand los und setzte ihren Fuß auf die erste Stufe. »Ich kann losrennen, und du wirst mich jagen müssen.« Sie zog ihren Fuß wieder hoch. »Ich kann mich auch zurückhalten und dir wie ein Schatten folgen, der von seinem Ursprung abgeschnitten wurde. Oder wir können gemeinsam hinuntergehen. Als Partner. Als Gefährten. Als Frau und Mann.«
    »Du entstammst der Morgendämmerung der Schöpfung«, sagte Hethor. »Ich entstamme ihrer Mittagszeit.«
    »Oder dem Sonnenuntergang, wenn du versagst«, entgegnete sie.
    Hethor breitete die Arme aus, und Arellya schmiegte sich an ihn. Er atmete den süßen Duft ihrer Haare, vermischt mit dem Geruch von Mohnblumen und Aroma der Knollen, die sie gegessen hatten, und dem Geruch von Mäusen. Hethor stellte sich vor, wie die Welt auf ihrer Schiene plötzlich zitternd zum Stehen kommt und das Sonnenlicht die Meere auf der Tagseite der Erde zum Kochen bringt, während die auf der Nachtseite in ewiger Dunkelheit zu Eis erstarrten. Würde das Chinesische Imperium unter der ewigen Nacht leiden? Was, wenn die Erddrehung auf der anderen Seite aufhörte, während London die Sterne über sich hatte? Wäre damit allen Interessen gedient?
    Meister Bodean, Bibliothekarin Childress, die Bauern, die ihm geholfen hatten, das Mädchen mit dem Leichenwagen, selbst die wahnsinnigen, dummen Kerzenmänner, die Matrosen Ihrer Kaiserlichen Majestät und der Abt des Jade-Tempels – ihrer aller Leben hingen von ihm ab. Wenn Arellya sich entschlossen hatte, mit ihm zu gehen, wer war Hethor schon, ihr dies zu verweigern? Vielleicht war auch sie von Gott gerufen worden. Vielleicht war er ihr Engel, ihr Gabriel, der aus dem Himmel gekommen war, um ihr Volk vor der Bedrohung zu warnen.
    Genau wie jemand anders Gabriel zu ihm geschickt haben konnte.
    Hethor verspürte eine unerklärliche Sehnsucht nach dem verstorbenen Simeon Malgus, obwohl dieser Mann ein halber Verräter und überaus arrogant gewesen war. Doch er hatte sich auszudrücken gewusst und war immer bereit gewesen, alle Dinge zu erklären. Jetzt hätte Hethor seinen Rat brauchen können, denn er konnte sich oder die Welt genauso wenig erklären wie die Liebe.
    Arellya schulterte ihren Speer. Hand in Hand traten sie der Dunkelheit entgegen und stiegen hinab in die Erde, weniger als eine Armlänge von der sich drehenden Messingwand entfernt, die die Welt antrieb.

12.
    Die Messingtreppe schraubte sich durch Felsschichten in die Tiefe. Die Mauer aus rotierendem Messing – die Hauptachse der Erdrotation –, war stets zu ihrer Linken. Hethor konnte über das Messinggeländer der Treppe blicken und sehen, wie die Unendlichkeit sich vor ihm auftat, bis die Perspektive den Ausblick in sich selbst zusammenfalten ließ. Zu ihrer Rechten konnten sie die verschiedenen Gesteinsschichten erkennen. Sie erzählten die Geschichte der Schöpfung der Erde und wie das vorsichtige Übereinanderklappen der einzelnen Schichten

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