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Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Titel: Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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hinein. Wenn die Morgendämmerung einsetzte, wurde sie von himmelhohen Speeren aus Gold und Grau angekündigt – dem Licht, das aus dem fernen Osten auf die Mauer fiel, wenn die Sonne sich noch hinter der Erdrotation versteckte. Stürme zogen nachts über die riesige Fläche hinweg, und die Blitze wirkten wie Wunderkerzen am Guy Fawkes Day, nur dass die Feierlichkeiten nicht auf ebenem Boden begangen wurden, sondern über viele Meilen hinweg, die sich senkrecht erhoben.
    Jeder Matrose wusste, dass die Luft immer dünner wurde, je höher ein Luftschiff flog. Je weiter sie sich aus der Umarmung der Erde entfernten, umso schwächer wurde die Atmosphäre, bis die Luft schließlich so dünn wurde, dass die Männer erkrankten oder starben. Ganze Schiffe gingen so verloren.
    Wie kann es dann sein, überlegte Hethor, dass hier, so hoch oben an der Mauer, die Luft dick genug ist, um Stürme hervorzurufen und Wälder wachsen zu lassen?
    Er stellte diese Frage al-Wazir, der ihm weiterhin mehr Freundlichkeit erwies, als Lombardo es jemals getan hatte.
    »Das ist mal eine gute Frage, mein Freund«, nuschelte al-Wazir in seinem schottischen Akzent. »Es muss so sein, weil unser gütiger Gott es so eingerichtet hat. Wenn Er es schafft, die Leuchte der Sonne am Himmel aufzuhängen, dann wird Er’s wohl auch hinbekommen, dass Luft an der Mauer klebt. Denk mal darüber nach: Die Luft hier oben ist immer noch ziemlich nah am Boden. Es ist nur ein anderer Boden.«
    »Das hat nichts mit einem anderen Boden zu tun«, sagte Dairy, der ihnen zugehört hatte. »Da oben gibt es Städte aus Edelstein, Junge, und riesige Menschen aus Eisen, die wie Lokomotiven über die Erde donnern, und ihre Dampfherzen kreischen so laut wie die Todesfeen der verdammten katholischen Bastarde.«
    »Dairy!« Al-Wazirs Tonfall war drohend. »Das sind Geschichten, die haben sooo ’n Bart. Die halten ja nicht mal mehr als Gerüchte her.«
    »Kapitän Smallwood sagte, die Römer wären hier gewesen«, platzte es aus Hethor hervor. »Könnte es dann nicht Städte geben?«
    »Natürlich.« Al-Wazir wirkte überrascht. »Römische und afrikanische Städte mit Hexenmeistern von der anderen Seite der Mauer. Selbst Städte voll stinkender Affen. Es gibt halt bloß keine Städte aus Edelstein, wenn du verstehst, was ich meine. Wie sollte so was auch möglich sein? Wo könntest du einen Diamanten abbauen, der groß genug ist, ein Haus daraus zu machen?«
    Im Angesicht der Mauer schien alles möglich. »Wenn es Städte voller Affen gibt, warum dann nicht auch Diamanten, die so groß wie Häuser sind?«
    »Menschenaffen«, brummte Dairy. »Sie sind Menschenaffen. Sie hassen es, Affen genannt zu werden. Einer von denen hat auf der alten Firepot gedient, bevor sie über La Coruña ihrem Namen alle Ehre machte und explodiert ist, wobei ’ne Menge Spanier dran glauben mussten.«
    »Es hat noch auf keinem beschissenen Schiff der Navy Ihrer Kaiserlichen Majestät einen beschissenen Affen gegeben«, sagte al-Wazir mit einem Grinsen, »abgesehen von euch stinkenden Decksaffen. Obwohl ich betonen möchte, dass ich lieber ein halbes Dutzend Silberrücken aus dem Regenwald hier hätte als euch Penner. Ich gehe mal davon aus, dass sie härter arbeiten und weniger Widerworte geben würden als ihr.«
    »Sind Sie schon mal an der Mauer gewesen?«, fragte Hethor.
    »Nee, aber mein Väterchen.« Al-Wazir seufzte. »Er ist auf dem Wasser gefahren, für die alte Guinea & Atlantik Company, auf ihren Sklavenschiffen. Auf der Goodness & Mercy war er, einem von diesen Schleppern, du weißt schon: Dreidecker, mit abgeschnittenem Hintern, viereckiger Unterseite und diesem Witwenmacherkiel. Man hat diese Schiffe zur Mitte des Jahrhunderts an der Clyde gebaut. Ihre Schwesterschiffe waren die Shirley und die Day Follower .
    »Es war ’67 auf ihrer Frühlingsfahrt, glaub ich. Der Erste Offizier hatte Gefallen daran gefunden, sich an der Mauer umzusehen, ob es was zu finden gab – irgendetwas Neues, was sich in Kingston oder vielleicht sogar in London gut verkaufen ließe. Mein Väterchen hatte sich gemeldet, weil er unbedingt dabei sein wollte. Der Kapitän war damals sturzbesoffen, als er mein Väterchen das sagen hörte, und er hat die Männer mit einem Lächeln und einem Rülpser verabschiedet. Sie nahmen sich ein kleines Boot, das wie eine Schaluppe getakelt war, und segelten Richtung Süden über die Bucht von Benin, bis sie am Fuße der Mauer an Land gingen. Mein Väterchen hat drei Tage

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