Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring
gebraucht, diese Geschichte zu erzählen, aber ich werde sie abkürzen; schließlich haben wir noch zu arbeiten und andere Dinge zu tun.«
Al-Wazir hob die Augenbrauen in Richtung Dairy und Hethor und einiger anderer Matrosen, die herbeigeschlendert waren, um sich die Geschichte anzuhören. »Also, sie landeten an einem Strand mit hartem Kies. Nirgendwo war Treibholz oder gar ein Wrack zu sehen. Über ihnen erhob sich eine steile Klippe. Ein Trampelpfad schlängelte sich nach oben. Sie kletterten hinauf und fanden eine Art Felsvorsprung. Zwischen den Bäumen gab’s Zeichen von Landwirtschaft. Von da aus folgten sie einer Straße, die sie weiter in die Höhe führte, bis über die Wolken, sodass sie fast schon glaubten, zum Himmel raufzuklettern. Da fanden sie dann eine Stadt aus Messing und Teakholz. Die Straßen waren mit Marmorplatten gepflastert, so wie die alten Römerstädte zu Hause.
In der Stadt schien niemand zu sein, aber bald schon folgten ihnen die Geister – blasse Wesen, die sich wie Rauch in Nichts auflösten, wenn Väterchen und die anderen versuchten, sie sich genauer anzuschauen. Der erste Offizier machte sich Sorgen. Da seiner Meinung nach weder Sklaven noch Gold zu holen waren, wollte er sich auf den Rückweg machen, als sie plötzlich die Kriegsschreie weißer Menschenaffen hörten, die allesamt größer waren als sie und die Speere und Bögen mit sich trugen.
Zunächst konnte mein Väterchen abhauen, aber er fand die Straße runter nicht mehr. Er und zwei seiner Kameraden haben Wochen auf diesem Felsvorsprung verbracht. Sie mussten vor den verdammten Menschenaffen fliehen und Nahrungsmittel von den kleinen Bauernhöfen auf den Lichtungen im Wald stehlen, bis sie es irgendwie zur Küste schafften. Die dämliche Schaluppe haben sie nicht mehr finden können, also mussten sie sich ein Floß zusammenzimmern. Auf dem Heimweg haben sie einen Mann an eine Wasserschlange verloren, die breiter als ein Brauereipferd war, und schließlich segelten sie in den Hafen von Conakry, ein ganzes Jahr älter.
Väterchens Haar ist so weiß geworden wie das von den Menschenaffen, und obwohl er noch zweimal für die Guinea & Atlantik in See gestochen ist, haben sie ihm eine Pension gegeben unter der Voraussetzung, dass er in den Häfen seine Geschichte nicht mehr erzählt. Väterchen kam nach Hause, ist mit uns nach Lanark gezogen, dreißig Meilen vom Wasser entfernt, und hat bis zu seinem Ende nur noch mit Schafhirten und Weizenbauern getrunken.«
»Das ist eine Lüge«, rief Dairy. »Ich habe dein Väterchen vor fünf Jahren in Bristol am Hafen getroffen, als er auf den Docks Austern an die teuren Händler verkauft hat.«
»Ich hab nich’ gelogen!« Al-Wazir schlug Dairy so hart ins Gesicht, dass er nach hinten flog. »Du stinkender, arschgesichtiger Hurensohn! Wenn ich was sage, dann stimmt’s auch! Deswegen bin ich Reepbootsmann, und du bist bloß ein Matrose mit ’nem lockeren Mundwerk.«
Hethor verdrückte sich schnell, um weiter Farbe abzukratzen, ging aber später zu Dairy hinüber. »Warum hast du das gesagt?«, fragte er, als die beiden auf dem untersten Deck nebeneinander hockten. Al-Wazir hatte Dairy befohlen, Ratten zu jagen.
»Jedes Mal, wenn er diese Geschichte auftischt, erzählt er sie anders«, jammerte Dairy, während sie sich in den stinkenden Schatten zusammendrängten. Dairys Rattentöter glitzerte im Laternenlicht. »Kann ihn deswegen ja nich’ zur Rede stellen, weil er stärker is’ und außerdem ja fast so was wie ’n Offizier.«
Hethor wusste aus eigener Erfahrung, was es bedeutete, einen Offizier herauszufordern. Er hatte genügend Narben, um das zu beweisen. »Du hast also sein Väterchen getroffen?«
»Ein weißhaariger Kerl, der Austern verkauft hat und die ganze Zeit vor sich hinmurmelte, dass da Affen in der Schiffstakelage sind. Mehr kann ich dazu nich’ sagen, außer dass er al-Wazir wie einen Sohn umarmt hat, als wir vom Bristol-Landemast an Land gerudert sind. Was die Mauer einem Mann nimmt, gibt sie nie wieder zurück.« Dairy sah kurz zu dem Holzdeck auf, das sich direkt über ihrer Nase befand. »Gott hat uns wahrhaftig keinen Gefallen getan, als Er die Mauer mit magischen Viechern bevölkert hat.«
***
Als sie näher kamen, wehte ein ständiger, eiskalter Wind von der Äquatorialmauer herunter, der die wild schäumenden Wellen aufpeitschte, sobald er den Atlantik am Fuße der Mauer erreichte. Hethor war klar, dass Kapitän Smallwood nach irgendetwas suchte,
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