Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring

Titel: Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
Vom Netzwerk:
im Wind. Es brauchte eine Minute, bis die Stimme des Schiffsarzthelfers verstummte, und weitere Minuten, bis sein Fallschirm unter den fernen, nebligen Schatten im Abgrund verschwand.
    Schließlich bemerkte Hethor, dass jemand ihm etwas zurief, sowohl vom Schiff aus, als auch von Land. Hethor riss den Blick von der Tiefe unter sich los und entdeckte Wollers an der Reling. Der Zweite Maat winkte ihm so wild zu, als könnte er Hethor mit bloßen Händen zu sich herüberziehen.
    Ich kann es nicht, dachte Hethor. Keinen einzigen Schritt. Wenn mir keine Flügel wachsen, werde ich mich nie wieder bewegen.
    »Heim in den Hafen, Matrose!«, rief Wollers. Sein Gesicht zeigte Erleichterung, als er bemerkte, dass er Hethors Aufmerksamkeit gewonnen hatte.
    Hethor schüttelte den Kopf, ohne die Hände vom verbliebenen Seil zu nehmen, das er immer noch umklammert hielt. Die Bewegung ließ seinen Körper noch heftiger schwanken. Die goldene Tafel drückte noch schmerzhafter auf seine Leiste.
    Vor Hethors geistigem Auge schlugen Flügel, und der Gestank der Wilden überlagerte das Bild der Engel. Er musste die Tafel in Malgus’ Kabine schaffen.
    »Linker Fuß ...«, flüsterte er und schob ihn etwas vor.
    »Rechter Fuß ...« Wieder bewegte er sich ein paar Zentimeter.
    »Linke Hand ...« Wenn er die Faust nicht zu weit öffnete, verlor er auch nicht den Halt.
    Wollers rief ihm aufmunternde Worte zu.
    Als Hethor schließlich das anderen Ende der Seilbrücke erreichte, drückte al-Wazir ihm eine Flasche Brandy in die Hand, während Lombardo ihm auf die Schulter klopfte. »Gute Arbeit, mein Sohn«, lobte der Decksbootsmann.
    »Was ist mit dem Jungen?«, fragte Hethor und sah das Bild vor sich, wie der Schiffsarzthelfer in die kalten, schwarzen Schatten sank, während sein Körper sich unter der Fallschirmseide unaufhörlich drehte.
    Al-Wazir schüttelte betrübt den Kopf. »Der Kapitän wird nichts für ihn tun. Hier draußen unterliegen wir dem Kriegsrecht. Wir haben nicht die Zeit, nach ihm zu sehen.«
    »Außerdem«, fügte Lombardo hinzu, »ist er wahrscheinlich schon tot.«
    Hethor wurde übel. Ein Sturz, nur um im Stich gelassen zu werden ...
    Er setzte sich, am ganzen Körper zitternd. Nachdem er sich ein paar Minuten lang erholt hatte, sagte er zum Zweiten Maat: »Ich muss Malgus’ Kajüte aufsuchen. Ich will mir in aller Ruhe die Karten anschauen.«
    »Also gut«, sagte Wollers nach einem ausgiebigen Blick auf Hethor. »Dann los.«
    Hethor humpelte von dannen, denn die Panik, die körperliche Anstrengung und der Fund der goldenen Tafel waren zu viel für ihn gewesen. Hinzu kam das schreckliche Schicksal des Schiffsarzthelfers. Hethor konnte sich nicht einmal an den Namen des Jungen erinnern.
    Beim Trauergottesdienst würde er ihn sicherlich hören.
***
    Noch immer zitternd, betrachtete Hethor die Buchstaben auf der Tafel. Er hätte sie gern auf Papier geschrieben, hatte aber keine Kohle zur Hand. Er musste sich später beim Koch ein Stück erbetteln. Bis dahin konnte er nur das Gold selbst in Augenschein nehmen. Das Metall war samtig, fast schon warm.
    Die Buchstaben schienen eine Art Handschrift zu sein, stammten aber weder aus dem römischen noch aus dem griechischen Alphabet. Es sah mehr wie hastig hingeworfenes Chinesisch oder eine andere Sprache aus, bei denen die Worte kleine Häuser darstellten, die sich über Ideen entfalteten, anstatt ehrliche Buchstaben und Töne zu veranschaulichen.
    Oder auch nicht.
    Diese Goldtafel war ein Geschenk an ihn. Gott hatte Hethors Leben bei der Überquerung des Abgrunds verschont und den Schiffsarzthelfer an seiner Stelle zum Tode verurteilt. Ein Engel war ihm in diesem kleinen Raum in der senkrechten Stadt erschienen. Es musste Gabriel oder einer seiner engelsgleichen Helfer gewesen sein, folgerte Hethor, denn jeder der geflügelten Wilden hätte ihn auf der Stelle getötet. Die Federn waren zu groß, um durch irgendeine andere Kraft hinterlassen worden zu sein.
    Hethor zeichnete die Linien auf der Tafel nach. Es waren sechs. Einige Symbolen wiederholten sich, als handelte es sich um ein Gedicht.
    Aber dies war ein Geschenk .
    Eine Nachricht von Gott.
    Konnte Gottes Name auf dieser Tafel stehen? Das Tetragrammaton war sowohl der Name Gottes, als auch der Name von Gottes Namen. Das Wort bedeutete einfach nur »vier Buchstaben« – »JWHW«, die vier Buchstaben des hebräischen Worts für Ihn, dessen Namen die Juden nicht aussprechen durften.
    Hebräisch ...
    Was, wenn es nicht

Weitere Kostenlose Bücher