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Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Die Räder der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Die Räder der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Lake
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Obwohl ihr Herz in ihrer Brust wie ein Mungo in einem Mehlfass rappelte, kümmerte sich Paolina nicht darum.
    Die Welt hinter ihren geschlossenen Augen vergrößerte sich. Jede Schießpulverwolke, der Gestank all des vergossenen Bluts, die Gerüche von zersplittertem Holz und Treibstoff und der große, schmierige Duft des Tragkörpers wurden zu einem Schrei in einer stillen Höhle. Dasselbe galt für den Schlachtenlärm, das Knarzen des Rumpfs, das Knallen aus den Wasserstoffzellen über ihr, für die einzelnen Schreie und Gebete und Flüche der Matrosen.
    Selbst das Deck zu ihren Füßen fühlte sich anders an.
    Unsere Triebwerke , dachte sie und blickte in ihre glühend heißen, pochenden Herzen. Viel zu viel Hitze – sie würden sich schon bald in Schrott verwandeln. Wenn das geschah, wäre das Luftschiff nicht viel mehr als ein im Wind umhertreibendes Blatt.
    Sie folgte dem heißen, pochenden Faden der Triebwerke, bis sie Ähnliches in der Luft entdeckte, nur wenige Hundert Meter Richtung Südosten. Zwei Paare trieben die Peiniger auf Flügeln aus Wasserstoff voran.
    Etwas brüllte in ihrer Nähe laut auf. Menschen gerieten in Panik. Das Deck sackte für einen Augenblick bedrohlich ab. Sie stand mit geschlossenen Augen ruhig da und stellte die Taschenuhr in ihrer Hand ein.
    Ein dumpfer Schlag. Das Deck schlingerte erneut, diesmal aber anders. Ein Winseln um Gnade, und die Antwort darauf war eine dumpfe Stille, die in ihrer Gleichgültigkeit Schmerz bereitete.
    Sie griff in das erste der chinesischen Triebwerke. Es war viel einfacher, sie ihres Treibstoffs zu berauben, indem sie den Abnutzungsprozess der kleinen Behälter beschleunigte, durch den der Treibstoff mittels schneller mechanischer Pumpen gepresst wurde. Eine Blase in der Behälterwand, ein Riss, heraussprühende Flüssigkeit, schon erstarb das Triebwerk mit einem Schlag.
    Der verbliebene Motor riss das feindliche Luftschiff in eine enge Kurve. Paolina streckte sich auch nach ihm aus und wiederholte den Trick, während um sie herum die Männer ihr Glück bejubelten.
    Wenige Sekunden später trieb das verfolgende Luftschiff ohne Antrieb durch die Luft, schwebte in einem unbestimmbaren Winkel über den Himmel – eine träge Schutzhülle vieler Seelen, die von ihren Handlungen nicht zerstört worden war.
    Der Lärm wurde durch eine Reihe von Explosionen verstärkt, und sie wurde fast zu Boden geworfen. Ohne nachzudenken, griff sie nach den überanstrengten Motoren ihres Luftschiffs und ließ sie langsamer laufen. Das kostete sie zwar kostbare Meter zwischen ihnen und dem verbliebenen Verfolger, aber sie war bereit. Diesmal ließ sie die feindlichen Maschinen mit einer einfachen Berührung ersterben, und das geschah so schnell, dass die Vorwärtsbewegung des chinesischen Schiffs mit einem Mal verloren ging, ohne dass es unkontrolliert herumschwenkte.
    »Feuer an Bord des Feinds, Sir«, rief jemand, als Paolina ihre Augen öffnete.
    »Ist das nicht Sinn und Zweck der Sache?«, fragte sie, aber dann sah sie, was der Matrose damit gemeint hatte. Auf der anderen Seite der Kluft brannte ein Triebwerk. Der ausgetretene Treibstoff hatte sich entzündet, und nun brannte die gesamte Triebwerksgondel. Die chinesischen Luftschiffmatrosen wurden kleiner, obwohl sich ihr Schiff trotz verringerten Antriebs vorwärtskämpfte. Sie sah zu, wie sie sich hektisch an der Gondel zu schaffen machten – ihre Gestalten zuckende Umrisse vor Flammen und Mondschein –, bis sie es schafften, das beschädigte Triebwerk abzutrennen und es wie ein launischer orangefarbener Komet gen Boden stürzte.
    Dann waren sie weit genug entfernt, dass die Schlachtlaternen nur noch blinkende Lichter am Himmel darstellten. Die geflügelten Wilden waren im Verlauf der Schlacht geflohen – oder hatten sich im schlimmsten Fall verborgen.
    »Willkommen an Bord Ihrer Kaiserlichen Majestät Luftschiff Erinyes , Miss Barthes«, sagte ein Mann, dessen Stimme sie nicht erkannte.
    Paolina öffnete ihre Augen in der Schattenwelt und verließ die Schweigende Welt, mit deren Blick sie die Umgebung in den letzten Minuten betrachtet hatte. Vor ihr stand ein Mann von normaler Größe und Statur. Er trug die zerfetzten Überreste einer dunklen Dienstkleidung, die nun mit einer Patina aus Schmiere, Blut und Staub überzogen war.
    »Wo bin ich?«, fragte sie. »Wer sind Sie? Wo ist Boas?«
    Dann fiel sie zu Boden, was ihre Quetschungen und Prellungen nur noch verschlimmerte, und schlief sofort ein.
    Gashansunu
    Die

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