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Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie

Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie

Titel: Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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gekämmt war. Er trug eine dicke Hornbrille und einen Pullover der Eureka-College-Footballmannschaft.
    »Ich heiße Oscar«, antwortete ich.
    »Oscar, reist du allein?«
    »Ja, Sir.«
    »Holt dich jemand ab?«
    »Ja, Sir, mein Dad«, antwortete ich automatisch. »Er holt mich am Bahnhof von Los Angeles, Kalifornien, ab.« Ich sagte Dutch nicht, dass mein Dad keine Ahnung hatte, wo ich war oder was ich tat.
    »Gut«, sagte Dutch. Er stieg aus seinem Bett, streckte sich und reichte mir seine rechte Hand. »Schön, dich kennenzulernen«, sagte er grinsend. »Du bist ein Prachtkerl!« Er hielt beim Sprechen den Kopf schief. Es war unmöglich, sein Lächeln nicht zu erwidern. »Was wirst du in Kalifornien machen?«, fragte er.
    »Ich weiß nicht«, gab ich zu. »Und Sie?«
    »Ich hab dort drüben ein Mädchen«, sagte Dutch. »Ich hab Weihnachtsferien vom College. Mein Mädchen hat mich gebeten, zu kommen und ihre Familie kennenzulernen! Sie hat ihren alten Herrn angepumpt. Er hat mir eine Fahrkarte und zwanzig Dollar für den Speisewagen geschickt, sonst hätt ich mir das Essen nie leisten können.« Dutch kicherte. »Ich schwör dir, ich könnte die ganze Fahrt bis Kalifornien für fünf essen! Mit zwanzig Dollar kann ich wie ein König speisen!«
    Ich lauschte Dutchs wundervoller Stimme. Erwar zweifellos von aufrechtem Charakter. Das war gut, denn jeder würde ihm alles, was er sagen mochte, aufs Wort glauben. Allein der Umstand, mit ihm im selben Zug zu sein, gab mir ein rundum sicheres Gefühl. Ich stellte fest, dass ich hungrig war. Dutch verzog den Mund zu einem strahlenden Lächeln. Er stand so groß und breitschultrig vor mir wie einer der Stars aus Wildwest-Filmen.
    »Ich hätte gewettet, dass Sie nach Hollywood unterwegs sind«, erklärte ich. »Sie wären genau der Typ für einen Western, Mr Dutch!«
    Er lachte. »Einfach nur Dutch!«, antwortete er. »Ist das dein Ernst, Oscar?«
    »Ich denke, Sie wären ein Bombenerfolg, Dutch«, sagte ich. »Ich meine, wenn Sie Ihre Brille abnehmen.«
    Dutch nahm seine Brille ab. »Jetzt seh ich nicht mehr aus wie ein Professor«, sagte er, »aber ich kann überhaupt nichts erkennen!« Er lachte und setzte sich auf sein Bett, um seine Schuhe zu schnüren. »Was ist mit deinem Dad? Ist er beim Film?«, fragte er.
    »Nein«, antwortete ich traurig. »Er pflückt Orangen. Er hat seine Arbeit verloren. Er hat bei JohnDeere in Illinois Traktoren verkauft, aber sie haben den Betrieb geschlossen.«
    Dutch tippte an seine frisch geschnürten festen Schuhe. »Bald werden die Banken schließen und wir sitzen in der Tinte«, sagte er trocken. Aber ich vermutete, dass Dutch das war, was mein Dad einen unverbesserlichen Optimisten nannte. Keine dunkle Wolke konnte länger als eine Minute seinen Himmel trüben. Er grinste und sagte: »Also los, Oscar, wasch dich, und dann treffen wir uns zum Frühstück im Speisewagen. Ist das ein Wort?«
    »Das ist ein Wort«, antwortete ich und sprang vom Bett hinunter.
    Ich putzte meine Zähne mit einer handlichen Zahnbürste der Rock Island Line aus einer Toilettenpackung für Passagiere. Ich kämmte mein Haar mit dem Rock-Island-Kamm und wusch mein Gesicht mit dem Rock-Island-Waschlappen.
    Der Zug raste, meiner Schätzung nach, annähernd mit Höchstgeschwindigkeit dahin. Der Waggon schaukelte und rüttelte die Schienen entlang. Im Gang schaute ich aus dem Fenster auf die vorüberfliegende Landschaft. Trockene und fahle Winterfelder sausten an uns vorbei. Ackerfurchen grauerErde verliefen in vollkommen parallelen Reihen bis zum Horizont. Vertrocknete Maiswedel flatterten im Wind. Dann und wann durchbrach ein Silo, einsam und fern vor dem kalten Himmel, die Eintönigkeit. Ich bahnte mir meinen Weg zum Speisewagen, der sich zwei Wagen hinter dem unseren, in Richtung des Zugendes, befand.
    »Hier, junger Mann«, sagte der Kellner. Er führte mich zu einem Platz an einem frisch gedeckten Tisch, genau gegenüber von Dutch. Das Tischtuch war aus weißem Leinen, fleckenlos, mit einer silbernen Besteckgarnitur darauf. Die Serviette war zu einem Hut gefaltet, ganz mit den Initialen der Rock Island Line umrankt und einem Stechpalmenzweig oben im Falz. Der Kellner nahm die Serviette vom Tisch, schüttelte sie zweimal aus und band sie mir behutsam um den Hals. Lächelnd reichte er mir die Speisekarte.
    Der Speisewagen war gesteckt voll. Waren all die Leute irgendwie auf diesen Zug aufgesprungen, wie ich es offensichtlich getan hatte? Oder waren sie von zu Hause

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