Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie
mehr Kaffee. Dutch band sich seine Serviette um, genau wie ich. Ich zögerte. In Wirklichkeit wusste ich nichts über Dutch. Schließlich war er nichts weiter als ein Fremder in einem Zug. »Wenn du einen Mann mit einem festen Handschlag und einem steten Blick triffst, kannst du ihm für gewöhnlich trauen«, hatte mir Dad erklärt, »außer es handelt sich um einen Politiker. Dann sei auf der Hut.« Dutch hatte mir direkt in die Augen geblickt und sein Handschlag war felsenfest.
»Sie sind kein Politiker, oder?«, fragte ich Dutch.
»Nicht die Spur!«, sagte Dutch. »Jetzt sag mir, Oscar. Woher kommst du und wie bist du in diesen Zug gelangt?«
Was hatte ich zu verlieren? »Ich fürchte, ich bin gestorben und irgendwo im Himmel gelandet«, antwortete ich. Der Zug sauste um eine Kurve und ichmusste meinen Teller festhalten. Ich war mit meinen Pfannkuchen fertig, aber wenn ich es mir richtig überlegte, so hatte ich noch nie von toten Leuten gehört, die Pfannkuchen aßen. Und außerdem war ich noch immer hungrig.
Dutch goss aus einer kleinen Sirupflasche mit der Aufschrift Rock Island Line noch mehr Sirup auf seinen Teller. »Tot mit elf Jahren?«, sagte er, aber es hörte sich nicht so an, als halte er mich für verrückt. »Oscar, ich kann dir garantieren, dass nichts dergleichen mit dir passiert ist, außer wir sitzen beide in einem Expresszug zum Himmel.« Er zeigte mit seiner Gabel aus dem Fenster.
Ich schaute aus dem Speisewagenfenster. Wir passierten gerade eine Station namens East Libby. Ein Farmer stand auf dem Bahnsteig, die Hände in den Taschen seines Overalls, die Augen in seinem wettergegerbten Gesicht folgten verträumt den Schienen. Neben ihm auf dem Bahnsteig lag ein staubiger alter Sattel. Dann war er fort, in die Vergangenheit entrückt. Zeit und Ort , dachte ich. Ein und dasselbe laut Professor Soundso . Ein anderer Schienenstrang zweigte ab und verschwand nordwärts in endlosen winterlichen Maisfeldern, die Stängel geknickt undtrocken. Die einsamen Silos am Horizont passten auch nicht zu meiner Vorstellung vom Himmel.
»Eins kann ich dir sagen«, sagte Dutch, während er sich seinen Speck schmecken ließ. »East Libby, Kansas, ist eine sehr schöne Stadt, aber East Libby ist nicht der Himmel.« Er wischte sich den Mund ab, gab dem Kellner ein Zeichen und bestellte einen zweiten Teller Pfannkuchen und noch mehr Speck für jeden von uns. »Ich wette, deine Geschichte ist interessant, Oscar«, sagte Dutch. »Du solltest sie mir erzählen. Wir haben fast zwei Tage Zeit.«
Ich deutete auf die Zeitung. Er hob sie auf und las den Artikel. Dann pfiff er laut durch die Zähne. Dutch schaute auf das Bild und dann auf mich, und dann auf das Bild und dann wieder auf mich. »Stimmt das?«
»Ja, es stimmt.«
»Heilige Makrele, Oscar!«, sagte Dutch. »Bist du in Ordnung?«
»Ich denke schon«, antwortete ich. »Ich kann mich an nicht viel erinnern. Ich weiß, dass plötzlich zwei Männer in die Bank kamen. Sie schlugen dem Nachtwächter, Mr Applegate, auf den Kopf. MrApplegate war mein bester Freund auf der Welt. Er ist tot und es ist meine Schuld, weil ich die Tür nicht abgeschlossen habe und vergessen habe, die Alarmanlage wieder anzuschalten.« Tränen erstickten meine Stimme. »Ich habe Mr Applegate geliebt und alles ist meine Schuld!«
»Hast du Mr Applegate erschossen?«, fragte Dutch.
»Nein.«
»Diese Gangster wären auf jeden Fall in die Bank eingebrochen und hätten sie ausgeraubt, Cowboy. Dich trifft keine Schuld.«
In dem Punkt war ich mir nicht so sicher. Ich hörte auf zu schniefen.
»Wie bist du in diesen Zug gekommen, Oscar?«, fragte Dutch noch einmal.
Ich konnte Dutch nicht sagen, dass ich auf die Anlage einer Modelleisenbahn gesprungen war. »Das weiß ich nicht, Dutch. Ich weiß nur, dass ich vorwärtsgehechtet bin, und im nächsten Moment stand ich auf dem Bahnhof von Dune Park, Illinois. Ich hab den ersten Zug genommen, der gekommen ist, und in Chicago bin ich in diesen Zug umgestiegen. Danach weiß ich nichts mehr.«
Dutch holte eine Pfeife aus seiner Tasche. Er stopfte sie, klopfte den Tabak fest und zündete sie an. »Oscar«, sagte er, »du bist immer noch grau wie eine Makrele. Was auch mit dir passiert ist, du stehst unter Schock, genauso wie ein Schwimmer, der fast ertrunken ist. Du brauchst Schlaf. Geh zurück in dein Bett und schlaf dich aus.«
Ich wachte am Abend auf, als der Zug in Kansas City einfuhr und der Schaffner rief: »Alles einsteigen!« Dutch war
Weitere Kostenlose Bücher