Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie
Dad aus, ohne zu wissen, welche Farbe sein Lieferwagen hatte oder aus welcher Richtung er kommen mochte. Ich hoffte, dass niemand mich anhand des Bildes auf der Titelseite der Los Angeles Times erkennen würde.
Der Bahnhof hatte gelb verputzte Wände und fünf Stockwerke hohe Türme. Sie leuchteten hell im strahlenden Sonnenschein. Die Palmen entlang der Straße fächelten im leichten Wind mit ihren Blättern. Ich aß meinen Hotdog – den Schokoriegel hob ich mir für später auf – und beobachtete den vorüberknatternden Verkehr. Die Hitze strahlte in Wellen von den Gehsteigen ab, obwohl es Ende Dezember war. Ungewöhnlich viele Soldaten undMatrosen bevölkerten die Straßen. Ich fragte mich, warum. In Cairo waren nie Soldaten zu sehen.
Eine Stunde verging. Ein ums andere Mal las ich den Zeitungsbericht über die Verdoppelung der Belohnung auf 10.000 Dollar durch Mr Pettishanks und dass die Polizei nach wie vor total im Dunkeln tappte. Ich bemühte mich, nicht an Mr Applegate zu denken, der tot auf dem Boden der Nationalbank von Cairo gelegen hatte. Versuch dich zu erinnern, Oscar! , sagte ich zu mir selbst. Versuche dich an die Gesichter, die Namen der Bankräuber zu erinnern. Du weißt, dass du sie kennst.
Aber es gelang mir nicht, mir das Aussehen der Verbrecher ins Bewusstsein zu rufen.
Auf der anderen Straßenseite pries ein Zeitungsjunge die Abendausgabe der Daily News an. Ich bemühte mich, nicht alle zwei Minuten auf den Uhrturm zu schauen. Mir fiel ein, dass wir, so heiß es in Kalifornien auch war, noch immer nicht Sommer hatten und es früh dunkel werden würde.
Der Zeitungsjunge auf der anderen Straßenseite schwenkte zusammengefaltete Zeitungen. »Kriegsfieber! Lesen Sie alles darüber! Kriegsfieber!«, rief er den Passanten zu.
Kriegsfieber? Irgendein dummer Krieg musste an diesem Nachmittag ausgebrochen sein und meine Geschichte von der Titelseite verdrängt haben. Ich wollte wissen, ob es Neuigkeiten aus Cairo gab. Waren die Räuber gefasst worden? Hatte jemand anderes die Belohnung kassiert?
In diesem Moment hielt ein rostiger Lieferwagen mit dem Namen John Deere darauf am Straßenrand.
»Dad!«, rief ich. »Dad, hier bin ich! Ich bin hier!«
Mein Dad sprang aus dem Lieferwagen. Er hatte mich nicht gehört. Er sah sich um, schaute die Straße hinauf und hinunter. Er heftete seinen Blick auf die Stufen zum Bahnhof. Er blickte mich direkt an, aber er schien mich nicht zu sehen.
»Dad! Ich bin hier! Hier!«, rief ich. Wieder hörte er mich nicht.
Er nahm für einen Moment seine Mütze ab, um sich am Kopf zu kratzen, und da sah ich, dass er fast ganz kahl war. Kahl! Mein Dad hatte immer volles, dichtes Haar gehabt. Wo war es geblieben? Er trug auch eine Brille. Seit wann hatte er die?
Ich rannte die Stufen hinunter, um die Straße zu überqueren, aber ich konnte mein Füße nicht von dem gelben Ziegelsteinpflaster des Gehwegs lösen,der um den Bahnhof herumführte. Ich versuchte zu springen, doch ich prallte von einer unsichtbaren Wand ab und landete auf dem Hosenboden. Ich versuchte es an einer anderen Stelle weiter unten auf dem Gehweg. Ich rannte hin und her und versuchte mich auf die Straße zu werfen, aber zwischen mir und der Asphaltstraße war eine Barriere, durchsichtig wie ein Fenster, jedoch stahlhart. Ich war gefangen.
Dads Augen suchten noch einmal den ganzen Bahnhofsvorplatz ab, mit Brille und dann ohne Brille. Ich sah, wie die Enttäuschung sein Gesicht überschattete. Er hob beide Hände an seinen Mund und rief: »Oscar? Oscar?« Er erblickte niemanden, den er kannte.
Niedergeschlagen, mit hängenden Schultern wandte er sich seinem Wagen zu. Er legte die Hand wieder auf den Türgriff und öffnete langsam die Tür. Panik ergriff mich. Mein Dad war im Begriff wegzufahren. Ich würde ihn nie mehr wiedersehen, weil ich hier festgenagelt war, wo er mich niemals sehen oder hören würde.
»Dad!«, schrie ich. Könnte ich meinen Körper in einen Pfeil verwandeln und die unsichtbare Wand durchdringen?
Für einen Moment legte Dad seinen Kopf auf das Lenkrad. Seine Schultern hoben sich und er schloss die Augen. Dann putzte er seine Brillengläser und startete den Motor des Lieferwagens.
In dem Moment fiel mein Blick auf ein kleines rotes Licht, das über mir aufleuchtete. TAXI signalisierte es in weißen Buchstaben, genau wie auf Mr Pettishanks’ Bahnhofsanlage. Am Bordstein, auf dem gelben Ziegelsteinpflaster, stand ein Taxi. Ich sprang hinein.
»Wohin?«, fragte der
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