Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie

Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie

Titel: Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
wegzudiskutieren. Dad war jetzt ein Mann in mittleren Jahren, der eine Glatze bekam. Was von seinem Haar noch übrig war, war grau. Und ich nahm das ganze Bett ein. Ich war größer als er. Ich war einen Meter achtzig groß statt einen Meter fünfunddreißig. Was war geschehen?
    Ein Exemplar des Life- Magazins lag auf dem Nachttisch. Ich griff danach. Es trug das Datum Dezember 1941 . Auf dem Umschlag war ein grinsender, salutierender neuer Präsident der VereinigtenStaaten, ein Mann namens Franklin Delano Roosevelt, der auf einem Flugzeugträger stand. Ich hatte noch nie von ihm gehört. Amerika befand sich offenbar mitten in einem Krieg.
    Ich machte mehrmals meine Hand auf und zu und betrachtete meine Fingernägel. Es waren zweifellos meine Hände. Ich kannte sie gut, dennoch waren es nicht mehr die Hände eines Jungen.
    »Du bist zu einem so prächtigen jungen Mann herangewachsen!«, flüsterte Dad. »Hübsch und kräftig und mit guten Manieren. Ich bin so stolz auf dich, Oscar!« Dabei sah er nach unten und schlug seine Faust in seine offene Hand wie ein Ballspieler den Ball. »Ich verspreche dir, ich werde dich nie wieder verlassen, mein Junge.«
    »Dad«, antwortete ich, »du bist jetzt untrennbar mit mir verbunden. Ich gehe auch nie mehr irgendwohin.«
    Schließlich nahm ich den Kaffee, die erste Tasse meines Lebens, und nippte daran, wobei ich meine Augen nicht von den seinen ließ. Der Kaffee war süß, mit viel Milch und Zucker, und er tat seine Wirkung. Ich stand auf und ging herum, als wäre dieses Gehen neu, wie der Kaffee. Dad beobachtetemich, bereit, mich aufzufangen, falls ich plötzlich umkippte.
    Sanft, als wäre ich ein verletztes Kätzchen, flüsterte er mir zu: »Was ist geschehen, Oscar? Was haben diese Gangster in diesen zehn Jahren mit dir gemacht? Wo bist du gewesen?«
    Ich konnte seine Frage nicht beantworten. Ich schüttelte meine langen neuen Beine aus. Sie schienen gut zu funktionieren. Ich hatte keine blauen Flecken, obwohl ich hätte schwören können, ein Schwergewichtsboxer habe auf mich eingeschlagen.
    »Wo sind wir, Dad?«, fragte ich.
    »Wir sind in meinem Mietzimmer in Burbank, Oscar«, antwortete er, wobei er jede meiner Bewegungen mit den Augen verfolgte. »Keine nennenswerte Stadt. Nur ein kleiner Fliegendreck auf der Landkarte.«
    »Ich rieche Chopsuey, Dad!«
    Dad blickte betroffen drein. »Ich verdiene nicht viel Geld, mein Junge. Das Zimmer ist über einem Chinarestaurant.«
    Ich setzte mich nieder und aß die Eier und den Zwieback, die Dad mir servierte. »Oscar, erzähl’s mir«, sagte er. »Wie schlecht sie dich auch behandelthaben mögen, sprich es aus. Erzähl mir alles, was von Bedeutung ist.«
    »Dad?«
    »Ja, Oscar?«
    »Es gibt kein sie . Ich war nicht zehn Jahre weg. Es waren höchstens drei Tage. Vor drei Tagen habe ich auf Tante Carmens vorderer Veranda deine Weihnachtskarte vorgefunden. Ich habe das Kuvert geöffnet und drin waren dieser Dollar und der Zeitungsausschnitt, in dem stand, dass John Deere alle Betriebe in Kalifornien geschlossen hat.«
    Dad wollte das nicht schlucken. Er sagte: »Oscar, das war 1931 , vor zehn Jahren. Schau auf das Life --Magazin. Sieh dir das Titelblatt an. Sieh dich an! Du bist einundzwanzig Jahre alt und einen Meter achtzig groß.« Dabei warf er eine Tageszeitung auf meine Schlafmatte. 27 . Dezember 1941 stand darauf.
    »Das … ich kann mir das alles nicht erklären.«
    »Also gut, beginnen wir an dem Tag, an dem ich Cairo verlassen habe«, sagte mein Dad. Er zog eine Zigarre hervor und bot mir auch eine an.
    »Dad, ich bin elf Jahre alt und ich rauche nicht«, sagte ich, aber ich dankte ihm und steckte die Zigarre in meine Hemdtasche. Ich fing ganz am Anfangan, mit Mrs Olderbys Bruchrechnungen und Mr Applegate, der aus dem Nichts aufgetaucht war und mir geholfen hatte. Ich erzählte Dad von der Katastrophe mit dem nassen Bibliotheksbuch und wie ich daraufhin Tante Carmen bei ihren Hausbesuchen begleiten musste. Ich erzählte ihm von dem »Wenn«-Gedicht und von Cyril und meinen Zügen in der Bank und wie ich Mr Pettishanks das Gedicht vorgetragen hatte.
    Dann kam ich zum Weihnachtsabend. »Dad«, sagte ich, »ich liebe diesen Mann, Mr Applegate. Nachdem du weg warst, war er alles, was ich hatte. Er war für mich eine Art Ersatz für dich. Er mochte die Modelleisenbahn. Er half mir, das alles zu überstehen. Und jetzt ist er tot und es ist meine Schuld. Das Ganze ist meine Schuld, weil ich die Tür nicht verschlossen und die

Weitere Kostenlose Bücher