Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie
gleich rechts!«, sagte er. »Jeder Junge auf der Welt kennt Roy Rogers, den ›singenden Cowboy‹!«
Ich hatte den Namen noch nie gehört, von mir aus hätte Roy Rogers ebenso gut ein Tiefseetaucher oder ein Banjospieler sein können.
Ich wusste mit Sicherheit, dass es zu Hause in Cairo keine Autos wie den Thunderbolt gab. Selbst Mr Pettishanks’ Luxus-Bentley sah alt und verstaubt aus verglichen mit Dutchs Rennwagen. Zehn Jahre waren vergangen, seit ich die Welt der Autos, der Straßen, der Mode, wie ich sie gekannt hatte, hinter mir gelassen hatte. 1941 sah alles so perfekt, so glatt und modern aus. Ich wollte meine Augen fest zudrücken und gleichzeitig konnte ich mich nicht sattsehen daran, wie die Dinge eines Tages sein würden.
Wir schwenkten in einen Zufahrtsweg mit der Beschilderung 426 North Bristol Avenue ein. »Ein italienischer Palast!«, sagte Dad. Alles war mit Fliesen ausgelegt und wilder Wein rankte sich an der Wand empor.
Dutch wandte sich zu mir. »Joan Crawford ist bei Dreharbeiten. Sie hat ihr Haus an Hollywoods heißesten Tipp vermietet, Oscar«, sagte er. »Aber er ist kein Schauspieler. Er ist ein kleiner dicker Mann, ein englischer Regisseur. Ich würde meinen rechten Arm für eine Rolle in seinem nächsten Film geben, aber er wird Cary Grant nehmen, so sicher wie das Amen in der Kirche.«
»Wer ist Cary Grant?«, fragte ich und stellte mir den alten, bärtigen Präsidenten Grant vor, dessen Bild über Mrs Olderbys Schreibtisch hing.
Dutch antwortete nicht, stattdessen stieg er aus und klingelte. Eine Dame öffnete. Dutch nahm seinen Hut ab und drehte ihn vor seiner Brust in seinen Händen, während er sprach. Seine markanten Gesichtszüge, das fast in der Mitte gescheitelte Haar und die Schwimmerbrust hatten sich nicht verändert, obwohl zehn Jahre ohne mein Wissen vergangen waren. Im Lampenlicht der Eingangstürneigte er den Kopf in der vertrauten »Guten-Abend-Ma’am«-Geste. Wer immer die Dame war, sie lächelte übers ganze Gesicht. Für einen Moment schaute sie besorgt zu uns herüber, dann winkte uns Dutch die Stufen herauf und ins Haus hinein.
Verlegen setzten wir uns in unserer Arbeitskleidung hin. Der Raum war viel zu elegant für Leute wie Dad und mich. Besonders luxuriös waren die vergoldeten, bemalten Wandschränke mit Kupfergriffen in Blätterform. Viele Fotografien der berühmten Joan, mit schwungvollem Autogramm in ausladender, energischer Schrift versehen, standen in kostbaren Rahmen auf den Beistelltischen und hingen an den Wänden. Joan war eine auffallend schöne Frau, daran bestand kein Zweifel. Gewelltes, rabenschwarzes Haar umrahmte ihr ebenmäßiges Gesicht. Dunkle Rehaugen unter langen, dichten Wimpern und volle rote Lippen lächelten mich an. Ich betrachtete Joan in ihren vielfältigen Posen. Sie kniete und umarmte ihre zwei Kinder. Sie saß und streichelte einen Hund oder ihr Kopf ruhte an der Hemdbrust eines attraktiven Mannes. Joan Crawford von der Crawford’schen Modelleisenbahn war von Kopf bis Fuß ein Hollywoodstar.
Auf dem riesigen Glastisch vor mir stand ein Aschenbecher aus rubinrotem Glas von der Größe einer Suppenschüssel. Die Gegenstände und Farben in diesem Haus waren viel zu kühn, um sie sich im Haushalt der Pettishanks vorzustellen; trotzdem herrschte in beiden Häusern derselbe geheimnisvolle Geruch nach dicken Teppichen, mit Zitronenöl polierten Möbeln und Buttergebäck aus der Küche. Derlei roch man in den Häusern gewöhnlicher Leute nie.
Die Dame schüttelte unsere Hände und stellte sich vor. Ich war froh, dass wir nur von der freundlichen Alma empfangen wurden und nicht von der Feuer speienden Joan. »Sie sind hier, um die Modelleisenbahn zu sehen?«, fragte sie. Ihre Stimme war hell und wohlklingend, genau wie die der Damen der feinen Gesellschaft im Radio.
Mein Vater sah aus, als hätte er soeben den Erzengel Gabriel getroffen. »Wer ist sie?«, flüsterte ich, als Alma uns in die Bar führte.
»Himmel, Oscar, sie ist die Frau von Hollywoods erfolgreichstem Filmregisseur. Er macht die spannendsten und gruseligsten Filme, wie Rebecca – der Film hat dieses Jahr den Oscar gewonnen.«
Ich schüttelte den Kopf. Alma bot uns aus der riesigen verchromten Getränkebar an, was immer wir wollten. Ich musste mich selbst daran erinnern, dass ich jetzt erwachsen war. Ich war alt genug, um wenigstens ein Bier zu trinken. Ich hatte noch nie etwas Stärkeres als einen Schluck Kommunionwein getrunken, also bat ich um ein
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