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Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie

Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie

Titel: Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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an und holte fünfzehn rot-weiße Lionel-Kartons unter dem Tisch der Anlage hervor. PROTOTYP stand darauf und sie waren ungeöffnet. Ein silberner Zug mit zwölf Waggons kam aus den Kartons zum Vorschein.
    »Was für einer ist das?«, fragte ich. Ich hatte solch einen Zug nur einmal gesehen, und zwar auf einem Bild. Er glänzte wie echtes Silber. Vorn an der stromlinienförmigen Lokomotive war das Emblem eines roten Adlers.
    »Erinnerst du dich, Oscar? Es ist der Präsident«, sagte mein Dad.
    »Klar erinnere ich mich!«, sagte ich. »Der Zug war im Katalog, der mit der Post gekommen ist, an dem Tag, als du mir gesagt hast, dass wir die Modelleisenbahn verkaufen müssen.«
    Dad blies vergnügt ein paar Rauchkringel. »Tatsächlich hat Lionel nie viele davon verkauft. Zu teuer! Aber sieh dir das an, Oscar! Das ganze Ding ist aus poliertem Nickel hergestellt! Und schau! Jeder Waggon trägt das Siegel eines anderen Präsidenten … da, John Calvin Coolidge, William Howard Taft, Theodore Roosevelt, William McKinley … bis zurück zu Abraham Lincoln.«
    Ich konnte sehen, warum der Präsident so teuer war. Er hatte einen rotierenden Scheinwerfer aufseinem Clubwagen. Der Scheinwerfer funktionierte natürlich wirklich. Auf einem Plüschsitz, der mit einem Hebel in ein Bett verwandelt werden konnte, saß tatsächlich das kleine zinnerne Mädchen mit den Zöpfen.
    Dad öffnete die winzige Tür des Speisewagens. Mit einem Schraubenzieher für Brillengestelle zeigte er auf die Kücheneinrichtung. Zwei der Vorratsschränke lagen geschickt verborgen unter den Restaurantsitzen. Die Türen glitten auf und zu, als könnte gleich jemand kommen und sie mit Suppendosen und tiefgefrorenen Steaks füllen. »Raffiniert!«, bemerkte Dad. »Kein Wunder, dass dieses Schätzchen ein Vermögen kostet.«
    »Der Speisewagen trägt den Namen George Washington!«, sagte ich. »Wie dem das wohl gefallen würde, wenn er es wüsste?«
    »Lassen wir den Zug rollen!«, sagte mein Dad. »Es ist wahrscheinlich der einzige, der noch existiert. Wo Mrs Crawford diesen Prototyp wohl herhat?«
    Ich deutete mit dem Kopf die Treppe hinauf. »Dad, ich wette, Filmstars sind so reich, dass sie über Nacht alles kriegen, was sie haben wollen.«
    Dad setzte den Zug zusammen, verband sorgfältig die Kupplungen. »Wir haben ein besseres Leben, Oscar«, erklärte er sehr ernsthaft. »Solange wir nur dran festhalten. Du hast mich und ich hab dich, und wenn ich mich nicht irre, dann ist das tausendmal mehr, als es der kleine adoptierte Christopher Crawford und seine scheidungswütige Mum je haben werden!«
    Er kippte auf seinem Stuhl nach hinten und betätigte den Schalter. Der Präsident schoss wie ein Pfeil über die Schienen, durch die Tunnels, schneller und leiser als jeder andere Zug, den wir je in Bewegung gesetzt hatten. Dad verschob den Golden Gate auf ein Nebengleis und schickte den Präsident auf der Strecke von Los Angeles über das Vorgebirge der Rocky Mountains und über die Prärie bis nach Chicago.
    »Wie wär’s, wenn wir ihn bis New York fahren lassen?«, sagte mein Dad und nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarre. Er setzte den Twentieth Century Express in der Dearborn Station auf ein Nebengleis, um dem Präsident den Weg frei zu machen: an den großen Seen vorbei, quer durch Indiana und Ohio bis zur Grand Central Station von New York City.
    Die Spätnachmittagssonne, die durch die Kellerfenster der Crawford’schen Villa hereinfiel, warf lange, weiche Schatten auf die Berge der Anlage. Oben im Haus waren berühmte Leute, mit ihren teuren Möbeln und den Orientteppichen. Aber hier unten war es nicht viel anders als in unserem Keller zu Hause in Cairo, wo wir uns einen Teufel um die Welt draußen scherten.
    Aber wir waren nicht in Cairo und in weniger als vierundzwanzig Stunden griff der lange Arm der Armee nach mir.
    »Oscar«, sagte Dad, nachdem der Präsident einige Male von Küste zu Küste gereist war, »wir sitzen noch immer tief in der Tinte. Wenn ein Elfjähriger zur Armee geht, wird er die meiste Zeit mit Kotzen im Kittchen verbringen.«
    »Was ist ein Kittchen, Dad?«, fragte ich.
    »Die Strafzelle. Wo die Rekruten, die nicht in einer schnurgeraden Linie marschieren, reingesteckt werden.«
    »Gehn wir nach Montana, Dad?«, fragte ich.
    Er antwortete: »Oscar, morgen nach dem Frühstück, sobald die Banken geöffnet sind, machen wir uns auf den Weg. Hab dreihundertfünfzig Dollargespart. Wir gehen nach Montana.« Er deutete mit einer

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