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Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie

Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie

Titel: Die rätselhafte Reise des Oscar Ogilvie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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kam mit Fotos herein, die Mr H. mit seinem Autogramm versehen sollte, was er mit einem unleserlichen Schnörkel tat. Sie brachte ihm auch ein kegelförmiges Glas mit einem kristallklaren, prickelnden Getränk und einer Zitronenscheibe darin. Mr H. steckte einen Zeigefinger in den Drink und wirbelte damit die Zitronenscheibe herum. Dann holte er diese heraus und knabberte daran. »Dutch hat mir und meiner Frau Alma alles überSie und die Bankräuber erzählt«, sagte er. »Ein perfektes Verbrechen!« Er lächelte. »Ich mache Mysteryfilme, wie Sie wahrscheinlich sagen würden«, sagte Mr H. »Unheimliche Geschichten voller Spannung und Nervenkitzel.«
    »Ja, Sir«, antwortete ich, auf der Kante meines Stuhls sitzend.
    Er zog ein kleines Notizbuch aus seiner Jacke, befeuchtete mit der Zunge die Spitze seines Bleistifts und fuhr fort: »Aus den Zeitungen erinnere ich mich gut an das Verbrechen am Heiligen Abend. Die brutale Ermordung des Nachtwächters, das gestohlene, unregistrierte Geld, die augenscheinliche Entführung des Jungen, die Belohnung – eine stattliche Belohnung, wenn ich so sagen darf. Dann die Verbrecherjagd mit den Spürhunden. Die Tante gab der Polizei Kleidungsstücke des Jungen. Die Polizei ließ die Hunde daran schnüffeln und ließ sie dann überall in Cairo los. Im Wald, auf den Schotterstraßen. Nichts. Nichts wurde je gefunden. Darf ich Sie etwas fragen, Oscar?«
    »Ja, Sir?«
    »Gestern Abend, als ich nach Hause kam, erzählte mir Alma die Geschichte. Ich rief den oberstenChef des FBI hier in Los Angeles, Kriminalinspektor Hissbaum, an, einen alten Freund von mir. Er erinnert sich gut an das Verbrechen. Er kannte den Inspektor, der damals mit dem Fall betraut war. Er verriet mir ein Detail, das nicht in den Zeitungen stand. Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Sie danach frage?«
    »Nein, Sir!«
    Mr H. nippte an dem Drink und knabberte noch ein kleines Stück der Zitronenscheibe ab. »In der Manteltasche des Jungen fand das FBI einen Zettel. Darauf stand in einer Kinderhandschrift ein Gedicht mit zweihundertzweiundfünfzig Worten. Können Sie mir sagen, was das gewesen sein mag?«
    Ich runzelte die Stirn. »Selbstverständlich«, sagte ich. »Es war das Gedicht ›Wenn‹ von Rudyard Kipling. Meine Tante Carmen hat es mich jeden Abend zehnmal abschreiben lassen. Das war meine Originalkopie, mit Kommentaren, um es sich besser zu merken.«
    Ich stellte mir vor, welche Kleidungsstücke Tante Carmen der Polizei überlassen haben könnte. Hatte sie ihnen meine getragenen Socken oder meinen Pyjamagegeben? Wurde meine Cordhose von einem Rudel Hunde angesabbert?
    »Und können Sie dieses Gedicht aufsagen?«, fragte mich Mr H.
    »Nichts leichter als das!« Ich holte tief Luft. »Wenn du kühlen Kopf bewahrst, / wo alle andern ihren verlieren / und dir dafür die Schuld zuschieben …«
    Als ich fertig war, sagte Mr H.: »Das kann unmöglich ein Bluff sein.« Er kippte den Rest seines Drinks. »Mein junger Freund«, fuhr er mit einem Lächeln fort, »wir sind in Hollywood, nicht im Mittelwesten, wo man Wert auf eine gewählte Ausdrucksweise legt. Sie brauchen mich also nicht Sir zu nennen. Mr H. genügt vollkommen.«
    »Ja, Sir«, stimmte ich zu.
    »Bitte erzählen Sie mir vom 24 . Dezember 1931 – alles, woran Sie sich erinnern.«
    Ich lehnte mich tief in meinen Sessel zurück, der so bequem wie ein Bett und mit glattem silberfarbenem Leder gepolstert war, und legte los.
    Ich schilderte, wie ich an Heiligabend den Bus zur Bank bestiegen hatte. »Es schneite. Ich läutete die Glocke neben der Eingangstür der Bank, wieimmer. Mr Applegate, der Nachtwächter, kam und schloss die Tür auf. Ich warf meinen Mantel auf einen Stuhl. Ich glaube, Mr Applegate sagte: ›Dieser verdammte Schnee! Der wird sich zu einem Schneesturm entwickeln! Womöglich kommen wir gar nicht mehr nach Hause!‹ Aber genau in dem Moment sah ich diese schwere Lokomotive über dem schönen gläsernen Fluss baumeln. Ich lief hin, um sie aufzufangen, damit sie nicht hinunterfiel und das Glas zertrümmerte.«
    »Hat Mr Applegate die Tür abgeschlossen, nachdem Sie hereingekommen waren?«
    »Nein, Sir. Für gewöhnlich habe ich das gemacht, aber ich habe es vergessen, und ich habe vergessen, die Alarmanlage wieder einzuschalten.« Ich verzog das Gesicht bei der Erinnerung an meine Nachlässigkeit. »Dad und Dutch sagen, es war nicht meine Schuld, dass die Räuber hereingekommen sind und Mr Applegate getötet haben, aber sie haben

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