Die rätselhaften Worte
lobte ihn Dee. »Streithammel ist sehr zutreffend. Möchten Sie den Rest mitverfolgen, oder lassen wir’s gut sein? Wir könnten ja eine kleine Runde machen, während wir uns unterhalten?«
Die versteckte Anfrage wurde mit einem leisen Lächeln vorgebracht, dem Dalziel – neben anderen interessanten Problemen – später auf den Grund gehen wollte.
»Worüber unterhalten?«
»Die Wahl des Themas überlasse ich Ihnen«, erwiderte Dee. »Ich vermute allerdings, es handelt sich um den traurigen Tod von Lord Pyke-Strengler und um den Platz, den er im weiteren Kontext Ihrer Jagd nach dem Wordman einnimmt.«
Während er sprach, führte er Dalziel über den Markt. Die meisten Buden waren reine Dekoration, die mittels Beleuchtung und Klangeffekten halbwegs realistisch wirkte, aber die ausgestellten Waren und die dazugehörigen Verkäufer waren kunstvoll aus Plastik nachgebildet. Es gab allerdings auch drei oder vier Marktstände, an denen echte Gegenstände von echten Menschen feilgeboten wurden. Vor einem Stand, an dem es verschiedenes Kleinzeug aus Metall, Gewichte, Tassen, Zierat und ähnliches zu kaufen gab, blieb Dee stehen. Das Marktweib, eine attraktive dunkelhaarige Frau in einem schlichten braunen Gewand, das die Geschmeidigkeit ihres Körpers eher betonte als verbarg, lächelte ihn an und sagte:
»Salve, domine. Scin’ Latine?«
Dee antwortete:
»Immo vero, domina.«
Dann griff er nach einer Messingkatze und rasselte einen ganzen lateinischen Satz herunter, worauf die Frau verlegen antwortete: »So ein Mist. Ich hoffe, wir haben nicht viele Besucher wie Sie.«
»Nein, ich bin wahrscheinlich ein Unikum«, lachte Dee. »Ich habe folgendes gesagt: Das hübsche Kätzchen gefällt mir, aber die Mieze im braunen Gewand ist noch viel hübscher.«
»Wirklich? Dann sollte ich wohl lieber lernen, was unverschämter Kerl auf lateinisch und altenglisch heißt, wenn ich hier überleben will.«
Dalziel verfolgte dieses kleine Zwischenspiel mit Interesse. Ihm fiel auf, wie der Bibliothekar ganz selbstverständlich seinen Charme spielen ließ und daß auch die Marktfrau einem Flirt nicht abgeneigt war. Niemand hatte bisher darauf hingewiesen, daß Dee beim anderen Geschlecht gut ankam, aber er war ja bislang auch nicht von einer Frau verhört worden.
Als sie weitergingen, fragte er: »Was soll damit bezweckt werden?«
»Um dem Ganzen einen realistischen Anstrich zu geben, sind ein paar Buden mit echten Menschen besetzt. Ambrose Bird stellt sie aus seiner Truppe bereit, Schauspieler, die nicht in der laufenden Produktion auftreten und sich gern ein kleines Zubrot verdienen. Sie lernen Begrüßungsfloskeln auf latein und angelsächsisch und fragen mögliche Kunden, ob sie eine der beiden Sprachen sprechen. Wenn sie, wie in den meisten Fällen, einen verständnislosen Blick ernten, greifen sie auf ein gebrochenes Shakespeare-Englisch zurück.«
»Außer sie geraten so wie jetzt an einen Schlaumeier, der das Kauderwelsch beherrscht.«
»Was wäre die Welt ohne Klugscheißer?« fragte Dee.
»Wesentlich glücklicher«, meinte Dalziel. »Und verkaufen sie den Plunder tatsächlich?«
»Sehr hochwertige Reproduktionen«, stellte Dee richtig. »Ja, wenn Sie die Ausstellung besuchen, können Sie einen
follis
voller
folles
erwerben …«
»Einen was?«
»
Follis
heißt Lederbeutel, aber die Bezeichnung wurde dann auch auf die Münzen angewandt, die der Beutel enthält – vor allem kleine Kupfer- und Bronzemünzen. Man kann damit an den Ständen einkaufen und dort drüben in der
taberna
einkehren.«
»Das ist wohl eine Art Pub?« erkundigte sich Dalziel interessiert.
»In diesem Fall eher ein Café«, erklärte Dee. »Aber vielleicht ist es der geeignete Ort für unser Gespräch. Beachten Sie bitte das
calidarium
oder Badehaus, wenn wir vorbeikommen.«
Er deutete auf eine Tür mit Glasscheibe. Dalziel spähte hindurch und sah ein kleines Becken mit dampfendem Wasser und darin einen nackten Mann, der eine Papyrusrolle studierte. Dahinter, durch den aufsteigenden Dampf nur schwer zu erkennen, erstreckten sich weitere Wasserflächen. Im Wasser und an den gekachelten Beckenrändern vergnügten sich noch mehr Gestalten, manche mit Handtüchern drapiert, andere offenbar nackt, doch der wabernde Dampf sorgte dafür, daß die in Mid-Yorkshire allseits anerkannten Grenzen der Schicklichkeit nicht verletzt wurden. Es dauerte eine Weile, bis er bemerkte, daß er nur immer das erste Becken sah, das durch geschickt angebrachte
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