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Die rätselhaften Worte

Die rätselhaften Worte

Titel: Die rätselhaften Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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stützen konnten, waren so wacklig, daß jeder halbwegs fähige Rechtsanwalt sie einfach wegpusten konnte.
    »Hat, Sie fahren mit mir in die Bibliothek.«
    »Aber die bleibt doch heute geschlossen, wenn ich mir den Hinweis erlauben darf.«
    »Verdammt, hab’ ich ganz vergessen. Aber das Personal ist doch vielleicht da. Dee und Rye Pomona sind sofort nach der Beerdigung weggefahren. Ins Lichen sind sie jedenfalls nicht gegangen.«
    »Nein, Sir«, bestätigte Hat unglücklich.
    Pascoe überlegte einen Augenblick und sagte dann: »Also gut, Sie versuchen es bei Dee zu Hause. Ich fahre zur Bibliothek, dort ist er immer noch am wahrscheinlichsten anzutreffen. Einverstanden?«
    »Gut«, sagte Hat.
    Sie stiegen gleichzeitig in ihre Autos, doch der kleine Sportwagen schoß bereits mit quietschenden Reifen vom Parkplatz, als Pascoe noch mit seinem Sicherheitsgurt beschäftigt war.
    Er war sich immer noch ziemlich sicher, Dee in der Bibliothek anzutreffen. Als er das Kulturzentrum erreichte und die Haupteingangstür offen fand, glaubte er seine Zuversicht bestätigt. Ein Wachmann hielt ihn an und erklärte, das Zentrum sei für den Publikumsverkehr geschlossen. Pascoe zeigte ihm seinen Ausweis und stellte wie erwartet fest, daß viele Mitarbeiter die Chance genutzt hatten, Dinge zu erledigen, die an normalen Arbeitstagen liegengeblieben waren.
    Er ging zum Lesesaal und wiederholte unterwegs noch einmal die freundlichen Worte, mit denen er Dee in die Zentrale zu locken gedachte. Aber er fand nur eine junge, ihm unbekannte Bibliothekarin vor, die die Regale sorgfältig nach verstellten Büchern absuchte.
    Erneut zückte er seinen Ausweis und fragte, ob Dee dagewesen sei. Sie antwortete, sie hätte ihn nicht gesehen, sei aber selbst eben erst angekommen. Pascoe trat hinter die Theke und drückte die Klinke der Bürotür herunter, in der vagen Hoffnung, daß Dee drinnen über seiner Arbeit saß und nicht mitbekommen hatte, daß draußen geredet wurde.
    Die Tür öffnete sich, und auf einmal überkam Pascoe die Vision, er werde Dee drinnen mit durchschnittener Kehle vorfinden.
    Das Büro war leer. Pascoe ging hinein und setzte sich an den Schreibtisch, um sich einen Moment zu sammeln.
    Offenbar stumpfte er allmählich ab. Zwar fühlte er Erleichterung, weil seine absurde Vorstellung sich als genau das herausgestellt hatte. Aber er war nicht erleichtert, weil er keinen weiteren Toten vorgefunden hatte, sondern eher, weil diese vielversprechende Spur nicht im Sande verlaufen, besser gesagt, vorzeitig verblutet war!
    Aber wie vielversprechend war diese Spur denn überhaupt?
    Dee paßte gut in das Täterprofil, das Pottle und Urquhart gezeichnet hatten. Da war seine Leidenschaft für Wortspiele, die Freude an seiner eigenen Intelligenz, und was den jenseitigen Aspekt der Dialoge betraf, so fand sich der Schlüssel hierzu vielleicht in dem Foto auf dem Schreibtisch. Er betrachtete die drei Jungen: Zwei von ihnen, klug und begabt, hatten sich von jugendlichen Konkurrenten zu frühreifen Erwachsenen gemausert, der dritte wirkte noch kindlich, unschuldig, voll Bedürfnis nach Liebe und Zärtlichkeit.
    Wieder fiel ihm das Gedicht aus dem Buch ein, das der tote Sam Johnson aufgeschlagen in seinen Händen gehalten hatte.
    Wenn Geister auferstünden,
    Wen weckte wohl mein Ruf
    Aus düstern Höllenschlünden,
    Himmels blauem Leichentuch?
    Bringt den Knaben mir zurück,
    Blüh uns noch einmal, Glück.
    Aber mit so etwas durfte man der Staatsanwaltschaft nicht kommen. Dort wollte man harte Fakten, hieb- und stichfeste Beweise und am besten noch ein wasserdichtes Geständnis.
    Und alles, was er hatte, war … ein Daumenabdruck und eine Bißspur. Beide nicht eindeutig. Beide mit fragwürdigen Methoden sichergestellt. Er schloß die Augen und versuchte, sich in den Zustand der Zeitlosigkeit zurückzuversetzen, in dem ihm die Antwort zum Greifen nah erschienen war … der siebenundzwanzigste Psalm: »Gott ist mein Licht …«
Dominus illuminatio mea …
    Da öffnete er die Augen und sah alles deutlich vor sich.
     
    Hat schlug das Herz bis zum Hals, als er mit seinem MG in Dees Straße einbog. Er hatte gefürchtet, Ryes Wagen vor der Tür zu finden. Das hätte jener Phantasie noch mehr Nahrung gegeben, gegen die er vergeblich ankämpfte: Auf sein lautes Klopfen öffnete sich Dees Tür und gab über dessen nackte Schulter den Blick auf sein Schlafzimmer frei – und auf sein Bett, wo sich Ryes zerwühltes kastanienbraunes Haar mit der

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