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Die rätselhaften Worte

Die rätselhaften Worte

Titel: Die rätselhaften Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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kommen?«
    »Jetzt?«
    »Ja.«
    »Gut. In fünf Minuten.«
    Ihr Gesprächspartner hatte aufgelegt.
    Sie legte auf und boxte in die Luft, eine Geste, die sie bei Fußballspielern und Teilnehmern von Quizshows immer ziemlich bescheuert gefunden hatte. Aber jetzt wußte sie, was sie damit ausdrücken wollten.
    »Ripley«, sagte sie. »Jemand da oben hat dich richtig gern.«

[home]
    Neun
    Der Dritte Dialog
    A
ve!
     
    Warum nicht?
    Am Anfang war das Wort, aber in welcher Sprache wurde das Wort gesprochen?
    Auf Séancen sprechen die Geister immer Englisch. Außer wahrscheinlich in Frankreich. Und Deutschland. Und überall sonst.
    Welcher Sprache bedienen sich also die Toten in Wirklichkeit, falls, was ich annehme, alle Toten imstande sind, sich miteinander zu unterhalten? Vielleicht eine Art infernalisches Esperanto?
     
    Nein, ich würde sagen, die Toten müssen alles verstehen, weil sie sonst nichts verstünden.
    So how are things going? Comment ça va? Wie geht’s?
     
    Und ich? Tja, alles nimmt einen rasanten Gang. Ja, es ist schwieriger. Denke nur nicht, ich würde nicht mit Freuden größere Verantwortung übernehmen, aber ich will nicht verschweigen, daß es schwieriger wird.
    Ich wußte, daß sie nach der Sendung spät nach Hause kommen würde, aber das Warten störte mich nicht. Was sind schon ein paar Stunden auf einer Reise, die so lange währt wie die meine? Und ein Teil des Vergnügens liegt in der Vorfreude auf den Augenblick, in dem die Zeit zum Stillstand kommt und alles in einer unendlich köstlichen Gegenwart geschieht.
    Sie war natürlich schon seit dem Bouzoukispieler in Betracht gekommen, aber es hatte andere mit gleichen Rechten gegeben. Ich mußte sie alle anhören, um Gewißheit zu erlangen. Völker sollen miteinander sprechen, aber hier war es ein Gespräch zwischen zwei Individuen, das ich hören wollte. Dann machte sie ihre Sendung, und obgleich sie ihre Worte sorgsam abwog und mit einem Auge auf das Gesetz schielte, hörte ich die unterschwellige Botschaft, die nur für einen bestimmt war. Schreib mir noch einen Dialog, sagte sie. Bitte, ich flehe dich an, schreib mir noch einen Dialog.
    Wie konnte ich mich einer so eindeutigen Aufforderung versagen? Wie konnte ich es wagen, mich zu widersetzen, wo ich mich hier wie bei den anderen als dein auserwähltes Werkzeug fühle?
    Aber auserwählt zu sein, entbindet mich nicht von der Verantwortung. Hilfe würde mir zuteil werden, das wußte ich, aber – nach dem letzten Mal – nur in dem Maße, wie ich mir selbst zu helfen imstande war.
    Aus diesem Grund saß ich im Auto und wartete, um sicherzugehen, daß sie allein nach Hause kam. Eine Frau mit ihren Gelüsten mochte durchaus einen Bettgenossen mitbringen. Ich wartete noch ein wenig, nachdem ich angerufen hatte. Ich hätte in dreißig Sekunden bei ihr sein können, aber ich wollte nicht, daß sie merkte, wie nah ich war.
    Als ich die Klingel drückte, antwortete sie sofort über die Sprechanlage.
    »Sind Sie das?«
    »Ja.«
    Die Eingangstür öffnete sich. Ich trat ein und ging die Treppe hinauf.
    Schon spürte ich, wie die Zeit sich verlangsamte, bis sie kaum schneller floß als Ölfarbe auf der Palette des Künstlers. Ich war der Künstler, und ich war bereit, meine neue Signatur auf diese Leinwand zu setzen, die nach der Vollendung mich in jene Dimension jenseits der Zeit versetzen wird, in der alle große Kunst existiert.
    Die Tür zu ihrer Wohnung ist offen, aber noch durch die Kette gesichert. Solche Vorsicht gefällt mir. Ich sehe ihr Gesicht im Türspalt und hebe die linke Hand, die einen braunen DIN -A4-Umschlag hält.
    Und die Kette wird entfernt, die Tür geht ganz auf. Da steht sie – mit einladendem Lächeln. Ich lächle zurück und gehe auf sie zu, stecke die Hand in den Umschlag. Ich sehe, wie ihre hellen Augen voller Vorfreude glitzern. In diesem Augenblick der Erwartung ist sie wahrhaft schön.
    Aber wie Apollonius beim Anblick von Lamia durchschaue ich den schönen Schein und sehe sie als das, was sie wirklich ist, die Verführerin, die Verdreherin, die Selbstverliebte – und auch die Selbstzerstörerin, denn im Herzen der Schlimmsten unter uns ist ein Rest jener Unschuld und Schönheit, mit der wir alle in diese Welt kommen. Und obwohl ich mich anschicke, den verderbten Teil herauszuschneiden, wird dieser Goldklumpen bleiben, auf daß sie so schön und unschuldig aus der Welt scheidet, wie sie hereingekommen ist.
    Ich packe den Griff des Messers im Umschlag und stoße

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