Die rätselhaften Worte
die lange, schmale Klinge in ihren Körper.
Ich habe über diesen Stoß gelesen – erst unter die Rippen und dann nach oben treiben –, hatte aber natürlich bisher keine Gelegenheit, ihn am lebendigen Fleisch zu üben. Solche Dinge würden den Leuten auffallen. Aber so schwierig es für mich ist, könnte man doch meinen, daß ich von einer langen Ahnenreihe von Mafiosi abstamme.
Oh, wie schön es ist, wenn das Wort so selbstverständlich die Tat vermittelt und die Theorie so glatt in die Praxis mündet. Der Strom läuft durch die Leitung, und die Lampe leuchtet auf; die Rakete balanciert auf ihrem Flammenschweif und beginnt dann ihren Aufstieg in den Himmel. Genauso gleitet die Klinge unter die Rippen und findet wie aus eigenem Antrieb den Weg durch die Lunge zum schlagenden Herzen.
Einen Augenblick lang halte ich sie hier, alle Sphären ihres Lebens auf Messers Spitze. Der Angelpunkt der Planeten ist hier, das unbewegte Zentrum der Milchstraße und der unvorstellbaren Leerräume des unendlichen Weltalls. Schweigen breitet sich um uns aus wie sachte Wellen auf einem Bergsee, legt sich über die nächtliche Musik des fernen Verkehrslärms, die ein böiger Wind herbeiträgt, und erstickt alles Keuchen und Kichern, Schnattern und Schnarchen, Weinen und Wehklagen der lebenden, liebenden, schlafenden, wachenden, sterbenden, gebärenden Menschheit
.
Nichts sonst ist. Nur wir sind.
Dann ist sie fort
.
Ich hebe sie hoch, trage sie auf den Armen ins Schlafzimmer und lege sie ehrerbietig nieder, denn dies ist ein feierlicher, heiliger Schritt auf ihrer und meiner Reise.
Noch ruht der besorgte Blick der Eltern auf ihm, aber schon beginnt das Kind langsam und mit unsicherem Schritt allein zu gehen.
Ich bitte dich, laß mich nicht straucheln. Sei meines Lebens Kraft, vor wem sollte mir dann grauen.
Sprich bald mit mir, ich flehe dich an, sprich bald.
[home]
Zehn
A m Samstag morgen wurde Rye Pomona auf ihrem Weg zur Bibliothek von ihren Kollegen mit so vielen Fragen zu Ripleys Fernsehsendung aufgehalten, daß sie zehn Minuten zu spät kam. So verpaßte sie den Ausbruch eines Streits im Büro, bei dem Erbitterung und Gelassenheit aufeinanderprallten.
Die Erbitterung verkörperte Percy Follows, dessen wütende Tirade an der stoischen Fassade von Dick Dee abprallte, wo sie keine andere Spur als eine gelinde Verwunderung hinterließ.
»Tut mir leid, Percy, aber ich hatte den deutlichen Eindruck, daß du auf keinen Fall mit dem Wettbewerb belästigt werden wolltest. Ich kann mich sogar noch an deine Worte erinnern – du drückst dich immer so einprägsam aus. Du hast gesagt, das sei eine völlig belanglose Sache, du sähest keinen Grund, warum das den normalen Arbeitsablauf der Abteilung stören sollte, und wir sollten dich auf keinen Fall damit behelligen, außer mit der Nachricht, daß wir die Sache erfolgreich hinter uns gebracht hätten.«
Rye war ausgesprochen stolz auf ihren Chef. Dank seiner Aufmerksamkeit und seines präzisen Gedächtnisses war er nicht nur ein ausgezeichneter Leiter der Bibliotheksauskunft, sondern verstand sich auch darauf, mit geradezu forensischer Präzision zu argumentieren. Da sie die Auseinandersetzung, die unterhaltsam zu werden versprach, nicht stören wollte, ging sie nicht ins Büro, sondern setzte sich hinter die Benutzertheke. Dort lagen die Morgenpost der Abteilung und der nun schon allzu vertraute Plastiksack mit den neuesten und (hier machte ihr Herz vor Freude einen kleinen Satz) wahrscheinlich auch den letzten Wettbewerbsbeiträgen von der
Gazette.
Ganz zuoberst, halb in der Tüte, steckte ein einzelnes Blatt, auf dem nur wenige Zeilen standen. Sie zog es heraus, während sie weiter dem Streit lauschte, und las:
I see thee as a flower,
so fair and pure and fine.
I gaze on thee and sadness
steals in this heart of mine. [1]
»Aber dabei ging es doch nicht um den Wettbewerb, oder?« tobte Follows. »Diese Dialoge sind, so wie ich das sehe, nur zufällig da reingeraten. Ripley meinte, sie waren wahrscheinlich für die Nachrichtenredaktion der
Gazette
bestimmt.«
Zwecks Schadensbegrenzung tut er so, als hätte die Bibliothek eigentlich gar nichts mit den Dialogen zu schaffen, dachte Rye und las weiter.
It is as though my fingers
should linger in your hair,
praying that God preserve thee
so fine and pure and fair. [2]
Aus dem Büro war Dee in höflichstem Tonfall zu vernehmen: »Willst du damit sagen, ich hätte das voraussehen und sie der
Gazette
zurückschicken
Weitere Kostenlose Bücher