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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Brei!
Mit vollem Mund schrie ich nach mehr. Die Gastgeber hatten vorrätig.
    Später, im Traum, suchte ich Rat,
weil, hinter Salzstangen her, ich immer noch bissig auf Vernichtung aus war.
    Das ist deine Wut, die Ersatz, bei Tage und nachts Ersatz sucht, sagte die Rättin, von der mir träumt.
    Aber wen, sagte ich, will ich wirklich einzeln oder gebündelt
bis zum Wert Null vernichten?
    Zuallererst dich, sagte die Rättin. Es fand die Selbstvernichtung anfangs privat nur statt.
    Sie stricken auf See. Sie stricken bei halber Fahrt und vor Anker liegend. Ihr Stricken hat einen Überbau. Der ist nicht zu übersehen, weil, wenn sie stricken, mehr geschieht, als sich in Maschen glatt kraus auszählen ließe: zum Beispiel, wie einig sie in der Sache sind, wenngleich jede jeder die Krätze wünscht. Eigentlich sollten die fünf Frauen an Bord des Schiffes »Die Neue Ilsebill« zwölf Frauen sein. So viele hatten sich für die Forschungsreise auf dem ehemaligen Lastewer angemeldet; und eine gleich übertrieben hohe Zahl versammelte ich anfangs im Kopf. Da aber in Luxemburg ein fünftägiger Kongreß und auf der Insel Stromboli ein dreiwöchiges Seminar mit Gelegenheit für gemeinsames Stricken stattfand, verminderte sich meine zu hoch angesetzte Zahl; es gingen die Anmeldungen für die »Ilsebill« auf neun, dann auf sieben zurück, weil zwei Frauen mit ihrer Strickarbeit dringlich schnell in den Schwarzwald mußten und schließlich zwei weitere samt Wolle und Nadeln in die Region Unterelbe gerufen wurden; denn überall
und nicht nur in meinem Kopf waren streitbare Frauen gefragt, die in Luxemburg gegen Dioxin in der Muttermilch kämpften, auf der Insel Stromboli das rabiate Leerfischen des Mittelmeeres beklagten, im Schwarzwald das Waldsterben thematisierten und an beiden Ufern der Unterelbe die Ballung von Atomkraftwerken anprangerten. Redegewandt und niemals um Gutachten und Gegengutachten verlegen, stritten sie kenntnisreich und wurden sogar von Männern als vorbildlich gepriesen. Niemand konnte ihre Fakten widerlegen. Sie hatten immer das letzte Wort. Und dennoch war ihr in Wörtern erfolgreicher Kampf vergeblich; denn die Wälder hörten nicht auf zu sterben, weiterhin sickerte Gift, niemand wußte wohin mit dem Müll, und dem Mittelmeer wurden mit zu engen Netzen die letzten Fische abgefangen.
Es sah aus, als werde einzig das Stricken der Frauen zu Faden schlagen. Da wurde in Rauten oder verschachtelt was fertig, Kleidsames kam in Gitterzöpfen oder durch Maschenverkreuzung zustande. Mehr noch: anfangs belächelt und als weibliche Schrulle kommentiert, wurde das Stricken auf Kongressen und während Protestveranstaltungen von den männlichen, aber auch von weiblichen Gegnern der streitbar strickenden Frauen als Quelle wachsender Kraft erkannt. Nicht etwa, daß sich die Frauen ihre Argumente aus den Wollfäden ihrer doppelt vernoppten Perlmuster zogen; ihr Gegenwissen lag in Aktenordnern und statistischen Auflistungen neben dem Knäuelkörbchen bereit. Es war der Vorgang, die unaufhörliche, strenge und doch sanft anmutende Zucht des Fadenschlagens, das tonlose Auszählen der Maschenzahl, über dem hell das Argument der Strickerin auf Wiederholung bestand, es war die Unerbittlichkeit des Strickens, die zwar den Gegner nicht überzeugte, aber beeindruckte und auf Dauer zermürbt hätte, wäre nur Zeit wie Wolle vorrätig gewesen.
Doch auch für sich und unter sich, ohne Gegner als Gegenüber, strickten die Frauen, als wollten sie den Faden nie abreißen lassen; weshalb in meinem Kopf und tatsächlich jene restlichen Fünf, die mit dem Forschungsschiff »Die Neue Ilsebill« die westliche Ostsee befahren und deren Quallenbestände messen wollen, ihr Strickzeug und genügend Wolle vorrätig an Bord haben: gefärbte, ungefärbte, gebleichte. Einzig die älteste der fünf Frauen, ein zähes Leichtgewicht, dem die bald fünfundsiebzig Jahre währende Mühe und Arbeit nicht oder nur in Momenten plötzlich einbrechender Düsternis anzusehen sind, schiffte sich ohne Nadeln und Wolle ein. Ganz und gar ist die Alte gegen die, wie sie sagt, dämliche Strickerei. Nicht einmal häkeln kann sie. Das würde sie fusselig machen oder mürbe im Kopf. Doch ist sie den anderen Frauen, die von ihren Strickmustern nicht lassen wollen, beim Waschen, Bakken, Putzen und Kochen voraus, weshalb sie die Kombüse übernommen hat: »Hört zu, ihr Weiber. Ich mach euch den Smutje, doch bleibt mir mit dem Strickzeug vom Leib.« Die anderen vier

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