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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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seefahrenden Frauen lassen jedoch selbst bei steifer Brise nicht von ihren Wollknäueln und Klappernadeln. Sobald die Kapitänin die Steuermännin ablöst, um gegen Regenböen, die von Nordwest kommen, das Ruder in beide Hände zu nehmen, greift die Steuermännin zu reiner Schafswolle und strickt an einem einfarbigen, in sich gemusterten Pullover, der so weiträumig ist, daß er nach einem schrankbreiten Mann verlangt, von dem aber nie die Rede ist oder nur dunkel andeutend, als müsse dem Kerl eine Zwangsjacke verpaßt werden.
Läßt die Kapitänin, die ich von Herzen Damroka nenne, vom Ruder ab, worauf die Steuermännin beidhändig, bei nun abflauendem westlichen Wind, den Kurs hält, beginnt sie sogleich eine aus Wollresten bunte Decke, deren verschieden gemusterte Flicken sie sorgfältig abkettet, um ein Quadrat zu vergrößern, ohne dabei Kompaß und Barometer aus dem Auge zu lassen. Oder sie vernäht die abwechslungsreichen Flicken, deren Muster spiralig, gerippt, von Fallmaschenreihen gezeichnet oder wie Panzer geschuppt sind.
Wenn sich die Maschinistin nicht in den engen Maschinenraum des Motorewers zwängen muß, um den Diesel zu warten, kann man gewiß sein, daß auch ihre Strickarbeit, ein ponchoähnliches Ungetüm, wächst; sie ist ein Arbeitsviech und hat sich ihr Leben lang abgerackert. Das wird ihr nachgesagt: Immer für andere, nie für sich.
So auch die Meereskundlerin. Wenn sie nicht mittschiffs auf langem Tisch und in gläsernen Wannen Ohrenquallen wiegt oder ausmißt, strickt sie, aus Gewohnheit fleißig, zwei glatt, zwei kraus: viele Kindersächelchen für ihre Enkel, darunter niedliche Strampelhosen, deren Muster Tannenzapfen oder Sanduhr heißen. Über schmale Finger, die soeben noch geschickt mit den Velarlappen der Quallen umgingen, gleitet, rosa oder hellblau gefärbt, der feingesponnene Faden. Man hat in Travemünde nicht nur für Proviant gesorgt und genügend Diesel getankt, sondern auch Wollvorräte angelegt, die bis Stege, so heißt die Hauptstadt der dänischen Insel Møn, reichen sollen.
Doch noch liegt der Hafen von Stege fern. Lärmig tuckernd
das ist der luftgekühlte Deutz-Diesel läuft »Die Neue Isebill« in die Neustädter Bucht ein. Auch wenn sie den Meßhai nicht zum Quallenhol aushängen, wird den Frauen dort eine Zeitlang das Stricken vergehen.
    Nein, Rättin! Ich nehme Wolle und Nadeln ernst und lache nicht, wenn der Faden reißt, eine Masche fällt oder aufgeribbelt werden muß, was zu locker gestrickt wurde.
Immer schon hatte ich dieses Geklapper im Ohr. Von Kindheit an bis zum gegenwärtigen Pullover haben mich Frauen mit Selbstgestricktem warmgehalten in Liebe. Zu jeder Zeit war etwas mit schlichtem oder versetztem Muster in Arbeit für mich.
Wenn meine Weihnachtsratte nicht, dann solltest du, Rättin, mir glauben: Nie werde ich die überall, rund um den Erdball strickenden, aus Not und Gefälligkeit, auch aus Zorn und Trauer strickenden Frauen verspotten. Ich höre sie gegen die rinnende Zeit, gegen das drohende Nichts, gegen den Anfang vom Ende, gegen jedes Verhängnis aus Trotz oder bitter begriffener Ohnmacht mit ihren Nadeln klappern. Wehe, wenn dieses Geräusch plötzlicher Stille wiche! Aus nur dummer Männerdistanz bewundere ich, wie sie überm Strickzeug gebeugt bleiben.
Jetzt, Rättin, seitdem sich in Wäldern und Flüssen, auf flachem, im bergigen Land, in Manifesten und Gebeten, auf Transparenten und im Kleingedruckten sogar, in unseren leerspekulierten Köpfen abzeichnet, daß uns der Faden ausgehen könnte, jetzt, seitdem das Ende von Tag zu Tag nur vertagt wird, sind Frauen strickend die letzte Gegenkraft, während die Männer nur alles zerreden und nichts fertigbringen, das den frierenden Menschen wärmen könnte und seien es Pulswärmer nur.
    DAS Z WEITEKAPITEL,indemMeistefälscher
benannt und Ratten Mode werden, der Schlußbestritten wird, Hänselund Greteldavonlaufen, imDritten Programm über Hamelnwas läuft, jemand nicht weiß, ob er reisen soll,das Schiff amUnglücksortankert, es hinterherKlopse gibt, Menschenblöcke brennen und Rattenvölker allerorts denVerkehr sperren.
    »Wir stellen Zukunft her!« sagt mit dem Mund des Rufers, der sein Echo kennt, unser Herr Matzerath zu seinen leitenden Herren, wenn in den Produktionsstätten Filme rar werden, die mediengerechten Biß beweisen; doch sobald ich ihm Stoffe aus meinem Fundus, etwa das Waldsterben als letztes Märchen vorschlage, oder die Verquallung der Ostsee als hergestellte Zukunft gefilmt

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