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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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bestimmt verrückt. Notstand und so!«
Und Schneewittchens (nach Grimm) Böse Mutter, (nach Bechstein) Böse Stiefmutter sagt: »Dann wollen wir rasch Einblick gewinnen.«
Mit entschlossenem Knopfdruck stellt sie das ausklingende Rapunzelprogramm ab und ruft. »Herhören! Alle herhören! Wir schalten jetzt nach Bonn um.«
Worauf die Großmutter den Reißverschluß öffnet, Rotkäppchen aus dem Wolfsbauch hüpft, Rübezahl das Holzklaftern und die Zwerge das Kartenspielen einstellen. Mit letzter Kraft springt der Frosch von Gretels Stirn in den Brunnen und hilft gleich darauf als König seiner Dame, nun der Hexe, schließlich Gretel auf die Beine. Ein wenig schlapp wirkt er, überanstrengt. Die Dame lächelt tolerant. Gretels Lächeln ist nicht mehr kindlich. Der Hexe hat die Liegekur gutgetan. Ganz und gar ist sie wieder Wirtin und will das Sagen haben. »Ich verbitte mir diese Störungen!« ruft sie. »In meinem Haus bestimme immer noch ich, wann Herhören befohlen wird.« Nach kurzem Blickwechsel mit der Hexe ruft die Böse Stiefmutter: »Ihr faulenzt, spielt Karten oder vergnügt euch mit eurem Buhlen, während im weiten Land und in den Städten alles drunter und drüber geht. Bonn ist ohne Regierung. Wir, die Märchen, haben die Macht ergriffen!«
Da alle ungläubig gucken und sich eine wirkliche Machtergreifung nicht zutrauen wollen, hören sie die Böse Stiefmutter sagen: »Spieglein, Spieglein an der Wand, zeig uns, was los ist im deutschen Land!«
Nach kurzem Bildsalat zeigt der Zauberspiegel in rasch wechselnden Einblendungen aufgeregte Menschen, Demonstrationen, Plünderungen, Militärund Polizeieinsätze, Vermummte, gewaltsamen Widerstand. In Bonn und anderswo werden Zeitungen ausgerufen. Schlagzeilen kommen ins Bild: »Erst die Kinder, dann der Kanzler weg!« »Kanzler mit Kabinett im Wald verschollen!« »Bundesrepublik führungslos!« Darauf Wasserwerfer. Knüppel frei! Hamsterkäufe. Schwarze Fahnen. Anzeichen von drohendem Bürgerkrieg. Im Knusperhäuschen sind alle vorm Zauberspiegel versammelten Märchengestalten still geworden. Man ist halb stolz, halb verlegen. Selbst die Böse Stiefmutter will ihrem Spiegel nicht trauen.
Erschrocken begreifen die Grimmbrüder, welche Macht immer noch von den Märchen ausgeht. Wilhelm flüstert in Jacobs Ohr: »Das ist unser Werk, Bruder. Als Sammler und Herausgeber sind wir die wahren Anstifter.«
Jacob antwortet flüsternd: »Man hat unsere schlichten Hausmärchen zu wörtlich genommen.«
Da rufen Hänsel und Gretel: »Das ist unsere Stunde! Zeigt, was ihr könnt. Verzaubert, bewispert, sprecht los oder bindet. Hexe! Nun mach schon!«
Zum erstenmal lacht sie ihr steinerweichendes Hexenlachen: »Wir bringen ihnen den Wald in die Städte!«
»Jadoch!« ruft Rumpelstilzchen, »sprießen, treiben, wurzelschlagen, überall wuchern, ranken, knospen und grünen soll es!«
Die Grimmbrüder versuchen zu beschwichtigen: »Aber, aber. Wir wollen doch nicht übertreiben. Wir dürfen, was geschrieben steht, nicht allzu genau nehmen.«
Die Zwerge, alle sieben, stellen sich gegen die Grimmbrüder: »Hier wird nicht gekleckert, hier wird geklotzt!« und: »Alle Macht den Märchen!« rufen sie rhythmisch und stampfen mit den Stiefelchen.
Inzwischen hat die Hexe Truhen und Schränke, Fässer, Schatullen und Mehlschütten geöffnet. Vor dem Knusperhäuschen ruft sie ohne erklärende Untertitel, weil ja aus dem Wald, aus den Lüften kommt, was sie herbeiruft: die Guten und die Bösen Feen, Krähen und Raben, Erdmännchen, Schrate und sonstige Winzlinge, namhafte Zauberer und Wilde Männer, Waldtauben und Ratten. Zum Schluß ruft sie mit beschwörenden Gesten ihre Schwestern, alle auf Besen oder Staubsaugern flugtüchtigen Hexen herbei; ein Weiberauftrieb von durchaus feministischem Gepränge.
Große Gesten, herzliches Wiedersehen, endlose Begrüßungen. Inmitten der märchenhaften, doch überwiegend bürgerlich adrett gekleideten Versammlung, fällt der Zauberer Merlin auf. Jovial begrüßt König Drosselbart den Froschkönig und dann die Grimmbrüder, die im Gedränge recht verloren sind und nicht wissen, was tun.
Durch Namensschildchen, wie sie auf Kongressen üblich sind, erkennen wir Frau Holle und das tapfere Schneiderlein, Aschenbrödel und Siebenschön, Hans im Glück und weil die Kamera auf ihn besonders hinweist den Däumling, der einen Riesen mitgebracht hat, in dessen Ohr er sitzt.
Natürlich sind mit der Muttergeiß die Sieben Geißlein zur Stelle. Doch nicht nur was

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