Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
unbeträchtlich große Minderheit dergestalt fanatisch Irrlehren an, daß wir Grund hatten, um das Wohl der Uralten zu fürchten. Wollte man menschlichen Glaubensstreit zum Vergleich bemühen und die Humangeschichte nach ähnlich grausamen Verirrungen absuchen, müßte von Waldensern, Hussiten oder von Wiedertäufern und Trotzkisten die Rede sein, die, sieben Rattenvölker stark, mehrmals Anlauf nahmen, den Sitz der Uralten, das von uns abgesteckte und heilig genannte Revier zu überrennen, um, wie ihre Parole hieß, dem Götzendienst ein Ende zu bereiten. Es fanden Kämpfe statt, die uns schwächten. Mag sein, daß der Hunger uns überdies bißwütig machte.
Worauf ich die Ratten kämpfen, ineinander verbissen sah. Schlachten fanden um Anna Koljaiczeks schadhaftes Häuschen statt, dessen Umland — was einmal Garten und angrenzender Kartoffelacker gewesen war — wüst lag, einzig geeignet, den Streit und Haß der Rattenvölker, den Kampf, sagen wir: Katholiken gegen Hussiten zu ertragen.
Im Vorfeld der Hausruine konnte ich zwischen unkenntlichem Schrott den Mercedes unseres Herrn Matzerath , als Autowrack erkennen. Lächerlich heil war auf der zerknautschten Kühlerhaube der Stern geblieben. Er wurde besonders erbittert umkämpft. Wie sie sich befetzten und anfielen. Wie sie mit Zähnen, die Stahlblech zermürben konnten, die Kehle des Gegners fanden. Und miteinander verzahnt, fraßen sie einander bis zum zuckenden Verenden. Sie durchwühlten sich. Ins fremde und eigene Gedärm verwickelt, mochte ihr Zahn blindlings das eigene Herz treffen.
Dann sah ich Ratten in Anna Koljaiczeks ehemaliger Guter Stube kämpfen, offenbar um die Schlümpfe, denn auch diese wurden verbissen. Als sich der Kampf in ihr vielfältiges Sonntagskleid verlagerte, auf ihre Hände im Schoß, die nicht vom Rosenkranz lassen wollten, übergriff, schließlich die Halskrause des Kleides einbezog, als sich eine, dann eine zweite Ratte der sogenannten Hussitenpartei in Anna Koljaiczeks verschrumpeltes, liebes Gesichtlein verbiß, schrie ich auf und vertrieb ich das Bild; doch den Traum nicht, den wieder, als wäre keinerlei Greuel geschehen, die Rättin einnahm.
Sie sagte: Später hörte der Kampf, doch nicht der Hunger auf. Die Mehrheit setzte sich durch. Wir wurden wieder einig im Glauben und beteten, endlich versöhnt, gemeinsam an. Was? schrie ich, lebte sie immer noch?
Einige Wunden, sagte die Rättin, die ihr im Kampfeseifer zugefügt worden waren, heilten wir geduldig, doch fehlte ihr fortan das linke Ohr...
Und was noch?!
Was soll diese Erregung? mahnte die Rättin. Etwas mehr Demut, bitte. Bald danach war die Uralte tot. Und als wir sie nach einem der letzten Staubstürme ohne Atem fanden, haben wir ihren Kadaver nicht etwa zur Nahrung bestimmt, wenngleich es immer noch unbelehrbare Grüppchen gab, deren Haß und Heißhunger wir fernhalten mußten.
Nach einer Pause, die die letzten Vernichtungskämpfe aussparen mochte, sagte sie: Nun gut, ohnehin trocken und bis zur Zierlichkeit geschrumpft, fanden wir sie so leicht, daß ein Transport erwogen werden konnte. In der dürftigen Kate sollte ihr Platz nicht mehr sein. Ein Ort, ihr angemessen, war mehrheitlich bald bestimmt. Alle Rattenvölker wollten sie dorthin verlagert sehen. Also ließen wir die Uralte sorgsam vom Stuhl gleiten. Nichts durfte knicken, einreißen, brechen, fehlen. Und wie wir sie von ihrem Gestühl weg bewegten, gaben ihre vielen, übereinander getragenen Röcke ein vertrocknetes Kindlein frei, das vielleicht zur Stunde des Großen Knalls zur Welt gekommen war; merkwürdigerweise in hübschen aber zu großen Kleidern, mit Schuhen weißgelb und vielen Ringen an den Fingern, zudem mit goldgefaßter Brille. Hose und Jacke ließen es ahnen, wir versicherten uns: Die Uralte hatte zu guter Letzt ein Knäblein geboren. Es machte Mühe, des Kerlchens Ringe und sein Brillengestell, die nicht geschrumpft waren, zu befestigen; denn auch den Winzling wollten wir transportieren. Also trugen Ratten, einander ablösend, nicht nur die leichtgewichtige Heilige, ihr Söhnchen auch in vielen Etappen über das öde Land. Das dauerte seine Zeit. Was du nicht glauben willst, soll dir zum Bild werden, sagte die Rättin. Sieh nur, wie langsam und bedacht die Überführung vonstatten ging.
Und ich sah, wie einander ablösende Ratten die sterblichen Reste Anna Koljaiczeks und unseres wieder zum Winzling gewordenen Oskar querfeld durch die gehügelte, doch gänzlich baumund strauchlose Kaschubei

Weitere Kostenlose Bücher