Die Rättin
letzten, die Erde umkreisenden Satelliten an...
In dem ich angeschnallt sitze. Ich im Raumgestühl. Mit Überblick: ich. Klare Sicht wieder, nachdem sich der Qualm rußschwarz gelegt hat. Merkwürdig verzeichnet ist die alte Erde rund, als habe sie sich den Küstenlinien aus Vasco da Gamas Zeiten genähert, als alle Landkarten noch ungefähr waren.
Die Rättin bestätigt meine Fragen: Eisschmelze und Flutwellen haben die Ufer zerfranst. Nicht nur konnten die Arabische See und das Mittelmeer Land gewinnen, auch meine Ostsee hat zugenommen. Inseln und Inselchen weg. Jede Flußmündung geweitet. Von oben gesehen, will mir Danzig oder GdaDsk wie eine Stadt vorkommen, die sich mit einem Schlammwall gegen das überflutete Werder abgeriegelt hat. Quallenfrei soll das Baltische Meer jetzt sein, sagt die Rättin, die mich ergänzt, sobald ich aus meinem Raumgestühl zu großflächig daherrede.
Als ich von ihr wissen will, wie in den einst fruchtbaren Niederungen des Weichselmündungsgebietes, die alle landunter sind, jene aus Rußland zugewanderten Ratten Wohnung nehmen konnten, die nicht in die städtischen Reviere durften, sagt sie: Es blieben Deichreste, Bahndämme, schlammige Aufschwemmungen. Unsereins findet überall Halt. Außerdem gehen die Wasser zurück. Es ist wie zu Noahs Zeiten, als sich die Sintflut wieder verlief.
Entgegen meinen Versuchen, humane Existenz mit Zitaten aus dem Dritten Programm oder durch aktuelle Einzelheiten, den Dollarkurs, olympische Rekorde zu beweisen, plaudert die Rättin posthumane Alltäglichkeiten. Von gelungenen Würfen berichtet sie, deren Würfe wiederum fehlerlos seien. Zwischendurch höre ich Anna Koljaiczek brabbeln: Mecht doch zu Ende bald sain.
War meine Raumkapsel soeben noch über anderen, hier zerdehnten, dort geminderten Kontinenten, wobei mir der Golf von Bengalen, das einst so drangvoll belebte Kalkutta als nur schwarzer Fleck ins Blickfeld gerieten, sehe ich nach kurzer Traumzeit wieder die Baltische See unter mir, auf der das Wrack ziellos und doch in östliche Richtung treibt. Sogleich rede ich mir humane Gegenwart herbei: Wie gut, daß im toten Wald dennoch die Dornenhecke wächst und der alte Dornröschentrick immer noch klappt. Ich flüchte in die fünfziger Jahre und schaue auf Malskats Pinsel, der nunmehr dem dreizehnten Heiligen von einundzwanzig Konturen setzt. Um die posthumane Selbstsicherheit der Rättin zu irritieren, sage ich: Bald kommt der Kanzler Adenauer zur Siebenhundertjahrfeier nach Lübeck, das Wunder zu schauen. Na, der wird staunen!
Nun nicht mehr im Plauderton, gereizt sagte die Rättin, von der mir träumt: Da verdampften an Bord des Schiffes deine fünf Weiber... Lüge! rief ich. Das weiß ich besser. Nicht nur Anna Koljaiczek findet kein Ende, auch auf dem Schiffswrack wird nicht gestorben. Ich will das so. Schließlich habe ich, Rättin, den ehemaligen Lastewer aus Angst und Ohnmacht mit Frauen bemannt. Die waren mir alle lieb. Denen hing ich an kurzen und längeren Fäden an. Die gingen mir mit den Jahren dennoch verloren, weshalb ich sie wieder ausfindig machte, um sie auf engem Raum zu versammeln. Miteinander verträglich sollten sie sein, Schwestern im Idealfall werden. Also dachte ich mir ein Schiff und die Frauen seetüchtig aus. Das fiel nicht schwer, weil sie alle praktisch veranlagt waren, mit Schraubschlüsseln, Zündkerzen umgehen konnten und doch ein Ziel wußten, das sie lange in den Wolken gesucht, schließlich unter Wasser gefunden haben. Sie sahen es schon, machten sich hübsch für die Ankunft; da hast du, Rättin, Schluß Aus Ende, dein rattiges Ultemosch gerufen. Jetzt kriechen sie heillos versehrt auf dem Schiffsdeck, beugen sich über Bord und wollen im Küstenwasser die versunkene Stadt sehen. Und eine der fünf Frauen, die nicht mehr schöngelockt ist, sondern kahl wie die anderen, ruft, als könne ihr Mund, der zum wunden Loch wurde, immer noch rufen: Da, da liegt unser Vineta! Unter uns. Nie war das Wasser so klar. Keine Algen und Tangbärte trüben die Sicht. Noch sind Gassen und Plätze unbelebt, doch gleich werden die Herrinnen von Vineta in leuchtenden Kleidern die Stadt begehen, uns grüßen und zu sich winken. In ihr Reich holen werden sie uns, das keine Gewalt, nirgendwo Zwang, nur Sanftmut und freundliche Spiele kennt. Und heilen werden sie uns, bis wir wieder glatt und gelockt sind. Seht, Schwestern! Es ist Bewegung auf allen Gassen. Ein lustiges Hinundher. Wir sind angekommen, endlich angekommen...
Der
Weitere Kostenlose Bücher