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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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hatten, ging, als wir schon nicht mehr zu hoffen wagten, unser gerettetes Saatgut wunderbar auf. Und weil mit dem Frühjahrsregen kaum noch Schadstoffe niederschlugen, auch keine Staubstürme mehr aufkamen und sich das posthumane Klima feuchtwarm stabilisierte, wuchs, was aufgegangen war und kam zur Reife.
Die Rättin berichtete, als wäre Ackerbau den Ratten immer schon von der Hand gegangen: Vom Spätsommer bis zum Herbst konnten wir unsere erste Ernte einbringen. Und siehe: wir hatten Linsen und Mais, hier Gerste, dort Rüben gesteckt und gesät. Besonders gut stand ein Feld Sonnenblumen. Diese anspruchslose und doch reichlich fruchttragende Pflanze wurde uns bald, weil ihre Kerne ölhaltig sind, zur Hauptfrucht. Das neue Klima erlaubte zwei Ernten im Jahr. Nicht nur das kaschubische Hügelland, auch die Schlammwälle um die städtischen Reviere waren den Kernträgern günstig. Wir, vormals nächtens nur tätig, hatten nun unser Tagwerk. Wir eingefleischten Nachttiere bauten Sonnenblumen an. Sieh nur, Herrchen, wie großflächig...
    Sie kommen billig aus Hongkong und haben an der einen, der anderen Hand
vier Finger nur,
mit denen sie Werkzeug aber auch Tennisschläger oder ein Blumensträußchen manierlich halten.
    Aus eingefärbter Plastikmasse gepreßt,
sind sie dauerhaft
und werden soviel steht fest-
das hinfällige Menschengeschlecht in Gruppen und als Einzelne überleben.
    Das tröstet. Wurden doch sie uns, deren Leben Mühe und Arbeit ist, schöpferisch nachempfunden; es sind aber die Schlümpfe von heiterer Natur und mit dem Hammer, der Sense,
dem Telefon allzeit spielerisch tätig.
    Nichts kann ihnen die Laune verderben.
Was auch geschieht, fröhlich beginnt ihr Tag. Nur ihre Sprache, die hierzulande Schlumpfdeutsch genannt wird, könnte ihnen
am Ende vergehen.
    Bleiben wird stumm ihr Grinsen und rund um die Uhr
ihr Fleiß.
    Du kennst doch von Kindesbeinen an das kaschubische Hügelland: zwischen Wäldern und Wasserlöchern eine Kartoffelgegend. Rüben, Hafer, Gerste, was sonst noch wuchs. Da von den Wäldern nichts geblieben war und nur um Tümpel und Neugewässer sogar die Radaune trat anderswo quellfrisch hervor zaghaft Niederholz erste Versuche machte, schonten wir den vielversprechenden Bewuchs, auf Wälder hoffend. Doch von den Hügeln der südlichen Kaschubei bis zu den Stranddünen des Baltischen Meeres, desgleichen auf allen fruchtbaren Schlammlawinen, ackerten wir, hier auf Lehm-,. dort auf Sandböden; der zu Wällen gestaute Schlamm aus den Niederungen wäre gut für Weizenanbau gewesen, hätten wir Saatgut vorrätig gehabt.
Da war sie wieder und ackerte, während sie auf mich einredete: Nein, keine Kartoffeln mehr! Dieser Sattmacher verging mit dem Menschengeschlecht. Aber im Fruchtwechsel bauen wir Mais, Rüben, Gerste und großflächig Sonnenblumen an. Sieh nur, wie sie in Reihen stehen und weithin leuchten. Wundert es dich, daß wir Nachttiere uns wandelten? Um das anrüchige Wort zu erneuern: Wir scheuen das Licht nicht mehr. Wir haben uns zu Tagelöhnern der Sorge um Nahrung gemacht.
Sie ließ mich schauen und staunen. Dann sagte die Rättin: Vielleicht ist es die Leuchtkraft der Blüten gewesen, dieser dottrige Strahlenkranz, der uns dem Nachtleben entwöhnt, uns das Tageslicht schmackhaft gemacht hat? Unsinn! Es war die Not, die uns ans Licht brachte und veränderte; während das Menschengeschlecht vergehen mußte, weil es sich, trotz aller schreienden Not, nicht ändern, verändern wollte. Wir aber wurden anders.
Die Rättin schwieg, doch sah ich nun gehügelte Sonnenblumenfelder zwischen kaschubischen Wasserlöchern, die wieder als Tümpel, Teich oder See den Himmel, sattweiße Wolken, aber auch junge Baumgruppen, Erlen, Birken, Weiden und dichtes Schilf spiegelten. Und Ratten bei der Feldarbeit sah ich, wie sie, Reihe nach Reihe, die hochstämmigen, schwer fruchttragenden Sonnenblumen fällten, indem sie Keile nagten, als müßten Bäume zu Fall gebracht werden. Wie rasch ihr Biß die Stämme umlegte. Wie fleißig sie waren, wie umsichtig. Kein Kern ging verloren. Und wie geschickt sie die Fruchtkörbe regelrecht köpften, um sie seitab an Feldrändern zum Trocknen zu reihen. Gut eingearbeitete Kolonnen, doch waren keine Antreiber, Einpeitscher mehr zu sehen. Aber Wachen hatten sie aufgestellt, als wäre ihre Ernte durch was oder wen denn?
gefährdet, als gäbe es fremde Nutznießer ihres Fleißes, als hätte außer Ratten und angeblich säugenden Schmeißfliegen anderes,

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