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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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nennenswertes Getier den Großen Knall überlebt. Nun ja, sagte die Rättin. Das mit den Flugschnecken, Unterwasserspinnen und lebendgebärenden Fliegen stimmte natürlich nicht. Nur dir zur Unterhaltung, weil du Gefallen findest an Lügengeschichten, fielen uns solch schauerliche Viecher und abartige Monster ein. Aber hör, Herrchen, wie es schilpt und gurrt. Nicht nur Sperlinge, auch Feldtauben sind, wie du weißt, posthuman gegenwärtig. Sie vermehren sich zusehends. Sie könnten, besonders die Spatzen, zur Landplage werden. Was sonst noch? Die Feldmaus ist wieder da: dumm aber schmackhaft. Vereinzelt Kaninchen. Silbrig weiß sind die Sperlinge, ins Rosa spielt das Federkleid der Tauben, und lächerlich gelb sind die Mäuse. Das alles brachte der Große Knall mit sich, wie ja auch wir unser Graubraun haben aufgeben müssen. Zinkgrün sind unsere Würfe. Später schlägt ein erdfarbener Ton durch. Uns Altratten kleidet Umbra. Jedenfalls siehst du, wie unsere leichten, noch zinkgrünen Jungratten anstellig die schweren Fruchtkörbe, solange sie noch am Stamm reifen, vor Vogelfraß schützen.
Und ich sah, daß jede große, demnächst ausgereifte Sonnenblume auf ihrer Schattenseite von einer Jungratte besetzt war; offenbar träumte ich farbig, denn das zinkgrüne Fell hob sich, kaum merklich allerdings, vom grünen Unterfutter der Fruchtkörbe ab. Dann sah ich das eine, das andere Mal, wie fangsicher die Jungratten räuberische Sperlinge in den Biß kriegten, sogar mit Feldtauben wurden sie fertig: verbissen sich in die Gurgel, wurden von aufflatternden Tauben gehoben, flogen mit ihnen auf, um, nach dem raschen Ermatten des Vogels, mit der Beute zu Boden zu stürzen. Mehrmals jähes Auffliegen, Luftkampf über dem Sonnenblumenfeld, Sturz, als falle ein Stein; ich sah, wie wirksam die Ernte geschützt wurde. Und wie die geernteten Früchte lagen erbeutete Tauben und Spatzen am Feldrand gereiht. Nach Rattenart sollte alles geteilt werden; es war ja die Ratte, als wir Menschen noch unseren Vorteil suchten, als teilende Gattung bekannt, ohne daß sie uns beispielhaft wurde. Seitdem sind Ratte, Vogel und Sonnenblume ein Bild. Was im Traum einander zugeordnet war, ist mir wach natürlich geworden. Nie mehr werde ich Sonnenblumen, solange sie noch hinter Gartenzäunen wie altbekannt grüßen, harmlos als Blumen nur sehen, ohne sogleich den Vogel im Biß der Ratte zu meinen. Die Rättin jedoch, von der mir träumt, blieb sachlich und sagte: Wir ließen nicht zu, daß unsre Kernernte schmarotzerhaft geschmälert wurde; wie etwa vor dem Knall wir, als gelernte Mitesser, die indische Reisund Weizen-, die mexikanische Maisernte oft um dreißig und mehr Prozent verringert haben. Ganz zu schweigen von unseren Abschlägen in Lagerhäusern, wo, um die Marktpreise hochzuhalten, aufgeschüttetes Zeug zuhauf lag.
Doch dann hob sie alle Feldfrüchte in den Bereich mystischer Spekulationen. Die Rättin sagte: Noch vor dem Maiskolben, der Gerste und unserem Sattmacher, der Kohlrübe, vor jeder Feldfrucht wurde die Sonnenblume uns wichtig, mehr noch, sie machte aus lichtscheuem Nachtgetier lichthungrige, dem Licht zugewandte Geschöpfe, die seitdem in Gebeten der Sonne göttliche Kraft zusprechen; weshalb wir in Sankt Marien, unserem Ort immerwährender Klage um das vergangene Menschengeschlecht, weiteren Anlaß finden, nach Rattenart fromm zu sein.
Und wieder erweiterte sich das Bild, wurde räumlich. Ich sah von weither, dann nahbei, wie herangerufen, den Altarsockel und was ihn neuerdings schmückte. Nicht nur letzter Sitz der luftgetrockneten Anna Koljaiczek und ihres geschrumpften Enkelsöhnchens sollte er fortan sein; Feldfrüchte waren zusätzlich aufgetragen. Nach neuer Altarordnung hatten die Schlümpfe zusammenrücken und eine enggestellte Versammlung bilden müssen. Die Golddukaten lagen, als hätte sie ein Kassierer betreut, zu Türmen gestapelt. Der schmiedeeiserne Schriftzug verdeckte die leblose Kuckucksuhr. Gebiß, Brille, Ring und Orden lagen mit dem Mercedesstern zum Stilleben auf kleinem Format gefügt. Der gewonnene Platz jedoch gehörte besonders üppig schwellenden Fruchtkränzen und auserlesenen Beutetieren. Jetzt erst sah ich, daß auch die vorher leeren Außenbereiche des Altarsockels belegt waren: mächtige Rüben, gebündelte Maiskolben, Gersteähren trugen zum Opfer bei. Doch bedeutsamer kam mir jene reife Sonnenblume vor, die in Anna Koljaiczeks Schoß lag und ihre Hände verdeckte, deren Linke, um einen Finger

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