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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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dicken Knoten verknüpft.
Und als das Tuckern des Hundertundachtzig-PS-Motors nicht mehr fraglich oder nur herbeigesehnt war, sondern, weil Stille herrschte, als einziges Geräusch meinen Traum besetzte denn die Ratten hielten sich starr; als das Gerücht zur Nachricht wurde, es werde der Rumpf des ehemaligen Forschungsschiffes nicht etwa das moderne Überseebecken anlaufen, vielmehr nehme es Kurs auf den alten, den historischen Hafen, an dessen Langer Brücke nur zwei Ausflugsdampfer, die vormals weiß gewesen waren, seit Ultimo festgemacht lagen; als endlich das tuckernde Schiffswrack, dessen kahles Deck unbelebt blieb, vor den Speicherruinen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges und den wiederaufgebauten Speichern der Zwischenkriegszeit anlegte, der Langen Brücke gegenüber seemännisch einwandfrei anlegte; als unter den Rattenvölkern die Nachricht umlief, die Kommenden hätten an der Speicherinsel, die vormals polnisch Spichlerze geheißen hatte, endgültig festgemacht, da zog es die Ratten aus dem Werftund Hafengebiet der Jungstadt, von Neufahrwasser und den Schlammdämmen in Strömen zur Altund Rechtstadt, durch deren Gassen zum Mottlauhafen, so daß bald nach dem Anlegen des Wracks, das Frauenund Brotbänkertor, das Grüne und das Heiligengeisttor verstopft, alle Uferanlagen von Ratten überschwemmt, die Fenster der gotischen Häuser zur Mottlau hin gepfropft voll und deren Giebel von Rattentrauben behängt waren.
Überladen die rostigen Ausflugsdampfer. Jeder Platz, jede Aussicht genutzt. Das Türmchen der Sternwarte von Ratten befallen. Gespickt voll die verkohlten Krantorreste. Der Figurenschmuck auf dem breitgelagerten Grünen Tor nicht mehr kenntlich. Nur das Speicherinselufer, soeben noch von Ratten gesäumt, hatte sich, als das Wrack anlegte, entleert. Es blieb ausgespart, als wollte man dem kommenden Ereignis Raum lassen.
Nenn es Respekt oder Furcht, jedenfalls war Distanz geboten. Zwar ahnten wir, daß was kommen wird, aber wußten nicht, als was sich das Kommende zeigen werde. Gemeinsames Beten hatte zwar Bilder, zu viele jedoch, die sich löschten, beschworen. Obgleich unser Singen in Sankt Mariendu hast uns oft genug fromm versammelt gesehen die Wiederkehr des Humanen zum Ziel hatte, und wir die Uralte und ihr geschrumpftes Knäblein in jedes Gebet einschlossen, wurde nicht deutlich, in welcher Gestalt uns der Mensch auferstehen werde, selbst seinen Schattenriß ahnten wir nicht.
Kein Wunder, sagte die Rättin, daß Spekulationen ins Kraut schossen. Wie wird er beschaffen sein? In uns bekannter Normalgröße? Übertrieben ins Riesenhafte? Einäugig oder mit vier Augen rundumspähend? Auch wenn wir jene blauweißen Zwerglein, dieses Spielzeug in Menschengestalt, das während der ausgehenden Humanzeit in Massen produziert wurde, auf dem Hochaltar unserer Hauptkirche anschaulich gruppiert hatten, hofften wir dennoch, daß uns der Mensch nicht als Winzling zurückgegeben werde. Unsere Erwartungen waren unbestimmt geblieben. Dabei hätten wir wissen müssen oder uns denken können, was uns vorbestimmt war. Getestet, langen Versuchsreihen unterworfen, Giften und Gegengiften ausgesetzt, im Dienst der Humanforschung und gegen Schluß sogar hochgeehrt, preisgekrönt, wußten wir, was ihr Verstand sich letztendlich ausgedacht hatte, als es darum ging so hieß ihr Forschungsprogramm -, das Menschengeschlecht zu verbessern. Was aber kam, sozusagen ans Licht trat, hat uns, bei aller Vorfreude, erschreckt.
Wir hatten, kaum war das Wrack zwischen zwei Pollern längsseit gegangen, um die Poller herum Sonnenblumen, besonders große Rüben, Maiskolben gelegt, dazu gerupfte Feldtauben und Sperlinge, allerdings eilig, um uns vor ihrem Auftritt rasch zu verflüchtigen. Sagte ich schon, daß es zu Bündeln gerotteten Rattenhaufen gelang, im Turm von Sankt Marien und im Gestühl anderer Kirchentürme die Glocken zu läuten? Hunden und mehr fette Altratten an den Seilen. Jedenfalls läuteten, als die Kommenden auftraten und wir in Erwartung erstarrten, wie zu Humanzeiten alle Glocken.
Und ich sah sie aus dem Niedergang zum Vorschiff kommen, aufrecht steigend, gehend, stehend dann. Ich sah sie lässig das Spielbein, das Standbein wechseln. Etwa die Größe eines dreijährigen Knaben mochten sie haben. Beiderlei Geschlechts und nur stellenweise rattig behaart, zeigten sie menschliche Proportionen, trugen aber, wenngleich ich selbst in Stummelform keine Rattenschwänze ausmachen konnte, auf langem Hals übergroße

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