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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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gerne länger gesellig geblieben, so sehr uns ihr Haß auf alles Rattige zusetzte. Übrigens waren ihnen nicht nur die Juden, die Japaner auch, Japse genannt, rattengleich.
Nach den Vernichtungsschlägen auf Hiroshima und Nagasaki, die uns überraschten, nahmen wir die neue Gefahr in unser Vorwissen auf. Deshalb haben uns die Atomund Wasserstoffbombenversuche der Amerikaner, Franzosen und Engländer, die einige Südseeinseln zum Bodennullpunkt hatten, nicht unvorbereitet getroffen. Zwar konnten dort unsere Völker nicht fliehen, wie sie gekommen waren: per Schiff, aber das Erdreich bot sich als Zuflucht an. Sobald die Humanbevölkerung der Inseln evakuiert war, legten wir tiefe und verzweigte Fluchtbauten an, die sich nach dem Anti-Noah-Prinzip mit Hilfe opferbereiter Altratten als Luftblasen verstopfen ließen. Schon damals bedachten wir die Einlagerung von Vorräten; Kokosnußfleisch und Erdnüsse. Dennoch überlebten nur wenige Ratten.
Mir war, als mache sie eine Pause, um sich zu besinnen. Oder wollte die Rättin der Opfer ihrer Art auf dem Bikini-Atoll und auf anderen Versuchsinseln gedenken?
Nach einiger Zeit sofern man dem Traum mit der Elle Zeit beikommen kann sagte sie betont sachlich: Als viele Jahre später auf den betroffenen Inseln die Radioaktivität gemessen wurde, hielt man die Meßwerte immer noch für zu hoch, um sie Eingeborenen, die Heimweh nach ihrer Insel hatten, zumuten zu dürfen. Nichts könne dort leben! hieß es, obgleich man uns vorgefunden hatte: gesund und zahlreich wieder. Dennoch sagte unser Überleben den Menschen nicht viel. Außer Zeitungsmeldungen in der Rubrik Vermischtes, die mehr als Kuriosität denn als Nachricht Verbreitung fanden, keine weitere Reaktion. Kein tiefes Erschrecken. Allenfalls ein erstauntes Lächeln beim Frühstück hinterm Morgenblatt: Guck mal an. Die zähen Biester. Die überleben alles. So war der Mensch beiderlei Geschlechts. Wie er brüllte, wichtig tat oder, seiner Macht sicher, schwieg. Sein Gerede von der Unsterblichkeit, dabei ahnte er, daß allenfalls wir, die zähen Biester, das Zeug hatten, unsterblich zu sein. Und als wir uns allerorts eingruben es ging diesmal ja nicht um Inselchen nur-, wichen wir keiner Mühe aus. Die härtesten Brocken gaben nach. Lag was quer, wir bissen uns durch. Unserem Zahn hält nichts stand. Er ist der Ausdruck unserer Geduld. Wir unterwühlten ihren Beton. In einigen Regionen boten sich aufgelassene Bergwerke an. Die römischen Katakomben wurden erweitert. Und in jener Stadt, die für dich, unseren Freund, aufgespart in der Raumkapsel, von besonderem Interesse ist, nutzten wir die Kasematten im Hagelsberg, der seit altersher, neben dem Bischofsberg, die Stadt überragt. Es sind Endmoränen, die hier als Hügel zur Ruhe kamen. Auf dem Hagelsberg soll Jagel, ein pruzzischer Fürst und Gott, seinen Sitz gehabt haben. Schon die Schweden trieben Stollen in diesen Berg. Die eigentlichen Kasematten jedoch sind Zeugnisse der napoleonischen Zeit: solide ausgemauerte Unterkünfte und Stallungen, die noch im Zwischenkrieg als Munitionslager dienten. Dort immer schon heimisch, fiel es uns leicht, tiefere Fluchtgänge und Nistkammern anzulegen. Doch nur ein Teil unserer in GdaDsk und Umgebung ansässigen Völker suchte im Hagelsberg Zuflucht, die Mehrheit grub sich mit Krallen und Zähnen im kaschubischen Hinterland ein. Oben hatten wir vorläufig nichts mehr zu suchen.
Ich will da nicht runter. Ich habe als Kind in den Kasematten gespielt und Knöchlein, sogar einen Schädel, weiß nicht von wem, gefunden. Soll sie doch! Soll sie sich eingraben zutiefst, und mit ihr mögen alle Rattenvölker der Welt wie vom Boden verschluckt sein; ich lege ein neues Blatt auf und will, daß es weitergeht. Ringe ansetzen, Falten werfen, alt und taperig will ich werden, zahnlos noch meiner Damroka böse Märchen erzählen: Es war einmal vor langer langer Zeit...
    Wenn dieser Stummfilm, der den Wald nicht retten kann, dennoch »Der Wald« heißen soll, und wenn es gelingen könnte, unseren Herrn Matzerath als Produzenten zu gewinnen, ihn, der sich schon immer für Katastrophen erwärmen konnte und allzeit schwarzsah, dann müßte ich ihn mit der weiteren Filmhandlung, was alles im toten Wald und sonstwo geschehen soll, bekanntmachen und ihm genaue Personenbeschreibungen vorlegen; denn Oskar, der mit eigenwüchsigen Einzelheiten gern hinterm Berg hält, liebt das Detail. Er könnte fragen: Wie sollen der Kanzler und seine Gattin aussehen? Auf welche

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