Die Rättin
er, »die beiden sind als Hänsel und Gretel geeignet. Mehr noch: sie sind es. Schon sehe ich, wie dieser Störtebeker dem Kanzler die Waldfeier verpatzt. Ich sehe, wie Tulla, das Luder, die Seile kappt, auf daß die gemalten Waldkulissen in sich zusammenfallen. Machen Sie. Machen Sie voran! Wir produzieren, sobald ich aus Polen zurück bin. Merkwürdig, daß mir die beiden abermals aufstoßen müssen. Als Hänsel und Gretel sehe ich sie laufen. Hand in Hand. Immer tiefer hinein in den toten Wald...«
Im Vorschiff des Motorewers »Die Neue Ilsebill« folgen Hängematten den Bewegungen des Schiffes, das unter Diesellärm seinen Kurs nimmt. Wenn sie belegt sind, hängen sie zu Köpfen, zu Füßen gestrafft an Haken; jetzt, tagsüber, während der Ewer bei leichter See die Insel Møn ansteuert, schlingern sie gelockert und frei für Wünsche: neue Schlafgäste, Mattentausch.
Hätten sich nicht andere Frauen als diese in Travemünde einschiffen können? Zum Beispiel alle, die abgesagt haben und lieber in Betten schlafen wollen?
Ich ließ fünf übrig. Oder es blieben mir fünf. Meine und keine Wahl traf ich und wollte oder durfte die Hängematten nur so und nicht anders belegen; doch wechseln die Frauen oft ihre Lage. Jede Freiwache wirft Pläne um. Immer liegen sie so, wie ich sie nicht wünsche: Wo sich gestern im Ölzeug die Maschinistin legte, wacht heute im Schlafanzug die Meereskundlerin auf; nicht die nackte, bis auf ihre Wollsocken nackte Steuermännin, Damroka liegt im langen Nachthemd in der äußersten Matte auf steuerbord; daß sich die Alte im geblümten Hemdchen nach backbord verkrochen hat, dort bleiben und wie sie sagt mit »keinem der Weiber« tauschen will, nehme ich hin, obgleich ich sie lieber in der mittleren Matte hätte.
So liegen sie dicht bei dicht, denn vier Meter siebzig nur ist von Geburt an der Ewer breit. Einzig Damroka liegt mit dem Kopf in Fahrtrichtung. Langgestreckt, fast auf dem Bauch: der schwere Schlaf der Steuermännin. Es rührt mich, zu sehen, daß die Meereskundlerin und die Alte seitlich gekauert, wie Embryos schlafen: eine der beiden nuckelt. Unruhig wälzt sich in ihren verschwitzten Plünnen die Maschinistin. Auf dem Rükken, gelöst: der Schlaf der Kapitänin. Manchmal schnarcht sie, gleichlaut die Steuermännin, doch mit Pfeiftönen versetzt. Das leise Wimmern der Meereskundlerin: offenbar träumt sie sich kindlich. Im Schlaf stöhnt die Maschinistin unter schwerer Last. Plötzlich Worte, Gebrabbel, Schimpfen: das ist die Alte.
Mehr weiß ich von ihren Träumen nicht, so nah mir alle gewesen sind. Wie gut, daß nur fünf Frauen an Bord kamen und nicht, wie nach Anmeldung, zwölf. Das hätte in meinem Kopf und auch sonst schlimmes Gedränge zur Folge gehabt. Und eigentlich wären drei Frauen für die Bedienung des Schiffes genug, auch mir. Doch welche wäre neben Damroka und der Meereskundlerin die Dritte gewesen? Wahrscheinlich die Alte, die immer dabei war, beiseite stand, hinterdrein maulte und alles aushielt.
Ich konnte mich nicht entscheiden. Eng ist es deshalb. Wie gut, daß sieben Abmeldungen kamen: ich und das Schiff sind zu klein.
Warum aber hätte nicht ich allein mit Damroka als ihr Bootsmann: ich! ihr Schiffsjunge: ich! Ay ay, Sir, ich! auf Reise gehen können? Sie hätte mich anlernen müssen: Knoten legen, Anker hieven, Seezeichen lesen, den Diesel warten und mit dem Meßhai die Quallen, die vielen Ohrenquallen, Medusen genannt...
Während der Motorewer sich Møn nähen: Gedanken im Abseits. Was alles Platz findet in unbeschwerten Hängematten. Auf Deck ist früher Morgen, doch selbst die Freiwachen wollen sich nicht legen, so sehr ich die Steuermännin, mehr noch die Meereskundlerin dränge. Alle haben ihre Schlafsäcke zum Auslüften nach oben genommen und das Strickzeug natürlich. Ich belaste die Hängematten von backbord nach steuerbord. Drei hängen durch. Ich ziehe sie nach, schlage die Knoten kurz vor den Haken straffer. Zwei der Matten sind aus farbloser Schnur geknüpft und mögen in Geschäften gekauft worden sein, die Zubehör für Segler führen. Die restlichen Matten sind farbig, eine rotweiß, die nächste verblichen blaugelb, die dritte aus rotgefärbter Schnur geknüpft. Die farbigen Hängematten schließen an den Rändern mit gemusterten Zierleisten, Fransen und Troddeln ab. Sie sind lateinamerikanischer Herkunft.
Möchte jetzt wissen, was ich hier zu suchen habe. Scheu bin ich, gehemmt und ängstlich, ertappt zu werden. Meine ergraute
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