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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Schultafel zwischen seinen Gummibäumen. Mit Zahlen wirft er um sich und führt Beweis. In rascher Schnittfolge und auf eingeblendeten Spielebenen will er von Tokio nach Stockholm, von Sidney nach Montreal, von Ostnach Westberlin springen und das Entsetzen der Passanten, die dreinschlagenden Polizisten, den Einsatz von Wasserund Flammenwerfern, Brände und Chaos, Panik in Soho und Plünderungen in Rio, alles, was während der Rattenflut lief, in seine Videokassette bringen.
Er sagt: »Und immer wieder sieht man in bedrückenden Szenen die beiden Kinder mit ihren violett und zinkgrün gefärbten Streicheltieren: wie sie flüchten, sich mit anderen Kindern zusammenrotten, ein leeres Haus besetzen, brutal geräumt abermals flüchten, von Polizisten und Spürhunden aufgespürt, verfolgt, gehetzt werden, bis sie bei Ratten Unterschlupf finden und nach der Rattenflut mit jenen verschwunden, man hofft, gerettet sind.«
Nach einigem Sinnen, als rechne er jetzt schon die Marktchancen dieser Kassette aus, sagt er: »Sie sollten sich panoramaweit und im Detail ein nicht enden wollendes Strömen vorstellen, eine feierliche Unerbittlichkeit, den Ernst, ja, die übermenschliche Größe dieser letzten Demonstration für den Frieden.«
Nachdem wir uns ein Stündchen lang über die Möglichkeiten visueller Aufklärung gestritten haben ich setze auf Kintopp; er behauptet, nur die große Videoshow und das Heimkino hätten Zukunft -, sagt unser Herr Matzerath plötzlich: »Vielleicht sollten wir das Ganze in der Manier des Altmeisters filmischer Aufklärung, des großen Walt Disney, produzieren. Der Mensch hat das Dokumentarische satt. Soviel Wirklichkeit ermüdet. An Tatsachen glaubt ohnehin niemand mehr. Nur noch Träume aus der Trickkiste bringen stimmige Fakten. Machen wir uns nichts vor: Die Wahrheit heißt Donald Duck, und Mickey Mouse ist ihr Prophet! Gewiß war der Einfall ganz hübsch, Hänsel und Gretel als Punks laufen zu lassen; doch sollten wir besser eine Superratte erfinden, witzig in fabelhaften Abläufen zeichnen und als Anführerin, jadoch eine weibliche Ratte, sozusagen Ihre Rättin an die Spitze aller Rattenumzüge setzen. In Rom und Brüssel, in Moskau und Washington: sie superschlau vorneweg. Wir könnten die Rättin in unserem Trickfilm ganz einfach Mary, nein, Dorothea, ich hab's: Ilsebill nennen und medial zum Idol machen...« Das alles wiederholt unser Herr Matzerath im Kreis seiner Mitarbeiter anläßlich der wöchentlichen Programmplanung. Die hochgewachsenen Herren und Damen nicken. Er läßt auf den Schulschiefer mediengerechte Richtlinien schreiben. Die Produktion will wissen, woran sie ist.
Aber die Rättin, von der mir träumt, sagte: Für aufklärende Trickfilme und alles andere war es zu spät.
    Sag ich ja: nichts.
In ihr Loch stolpern die Wörter. Nachträge nur noch.
Ein langes Gespräch über Erziehung, das abbrach, ohne zum Schluß zu kommen.
    Nach letzten Meldungen.
Wie gegen Ende verlautbart wurde und gleich darauf dementiert.
    Zu guter Letzt versuchten einige Exemplare der Gattung Mensch
von vorn zu beginnen.
    Irgendwo soll gegen Saisonende preisgünstig Anlaß für Hoffnung gewesen sein.
    Abschließend war von Gut und Böse, und daß es sowas nicht gebe, die Rede.
    Als aber,
oder auch Gott
mit seinen ewigen Ausreden.
    Überliefert ist der Beschluß, sich auf demnächst
zu vertagen.
    Wir dachten, das sei ein Witz, als uns plötzlich
das Lachen verging.
    Immerhin war danach niemand mehr hungrig global.
Doch hätten zum Schluß viele Menschen gerne noch einmal
Mozart gehört.
    Es sind winzige Inseln, deren Namen überall in der Welt bekannt wurden, als man in sich wühlende Rauchpilze über ihnen aufgehen ließ, wie es hieß: versuchsweise. Auf diesen Inselchen haben auch wir uns erprobt. Deshalb darf man unser Verhalten den Bikinireflex nennen. Wir wissen seitdem. Fortan betraf unsere Ahnung nicht nur Schiffe, denen jene nur uns sichtbare Aura des nahen Untergangs eignete, ahnten wir doch andere Katastrophen gleichfalls voraus: Großfeuer, Sturmfluten, Erdbeben und Dürrezeiten, so daß wir uns in der Lage sahen, gerade noch rechtzeitig unsere Reviere zu verlegen. Kein Steppenbrand, dem wir nicht klüglich davongelaufen wären. Zudem wußten wir immer, welche Gattung, sie mochte sich noch so stark und im Saft stehend glauben, demnächst aussterben würde. Bei den ungeschlachten Dinosauriern haben wir, zugegeben, ein wenig nachgeholfen, um den Prozeß zu verkürzen; den Menschen jedoch wären wir

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